Rz. 782

Bei sozialen Angelegenheiten kann sich die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates häufiger ergeben. Zwar wird sie bei der Festlegung der Lage der Arbeitszeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen, wenn nämlich eine derartige Abhängigkeit mehrerer Betriebe voneinander gegeben ist, dass bei fehlender einheitlicher Regelung eine untragbare Störung eintreten würde, die zu unangemessenen betrieblichen oder wirtschaftlichen Auswirkungen führen könnte (BAG v. 23.9.1975 – 1 ABR 122/73, juris). Ein solcher Ausnahmefall kann gegeben sein, wenn der Arbeitgeber in mehreren Betrieben eine Dienstleistung erbringt, deren Arbeitsabläufe technisch-organisatorisch so miteinander verknüpft sind, dass der Gesamtbetriebsrat für den Schichtrahmenplan zuständig ist (BAG v. 19.6.2012 – 1 ABR 19/11, juris; ebenso Fall des LAG Hessen v. 18.7.2016 – 16 TaBV 1/16, juris: Erbringung einer Dienstleistung in mehreren Betrieben mit technisch-organisatorischer Verknüpfung der Arbeitsabläufe). Die Regelung zu Nachweispflichten von Arbeitnehmern bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, die der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG unterliegt, zählt aber nicht zur Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats (BAG v. 23.8.2016 – 1 ABR 43/14, juris). Dasselbe gilt für eine Arbeitsanweisung über die Meldung von Datenpannen (LAG Niedersachsen v. 6.8.2019 – 2 TaBV 9/19, juris).

 

Beispiel

Die Zuständigkeit besteht für die Ausgestaltung der Dienstkleidungspflicht des Bodenpersonals im Unternehmen eines deutschlandweit tätigen Luftfahrtunternehmens, die dazu dient, den Fluggästen die schnelle und sichere Identifizierung der Mitarbeiter als Bodenpersonal der Arbeitgeberin zu ermöglichen (BAG v. 17.1.2012 – 1 ABR 45/10, juris; ebenso LAG Berlin-Brandenburg v. 8.10.2013 – 7 TaBV 704/13, juris). Nach LAG Niedersachsen (21.5.2015 – 5 TaBV 96/14, juris) soll die unternehmerische Entscheidung, die Rufbereitschaft auf alle Betriebe zu verteilen, kein Erfordernis darstellen, das die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats begründet, wenn der Arbeitgeber nicht Arbeitnehmer aus mehreren Betrieben benötigt, um eine Rufbereitschaft zu gewährleisten. Dies erscheint als zweifelhaft: Welcher Betriebsrat soll entscheiden, in welchen Betrieben Rufbereitschaft eingerichtet wird?

 

Rz. 783

Bei technischen Einrichtungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG besteht die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats etwa dann, wenn ein unternehmensweit vernetztes Kommunikationssystem mit zentraler Kostenüberwachung und der Möglichkeit zur einheitlichen Steuerung geschaffen werden soll, um die erheblichen Telefonkosten zu optimieren. Dies gilt auch, wenn das System der elektronischen Datenverarbeitung betriebsübergreifend eingeführt werden soll und eine unterschiedliche Ausgestaltung in den einzelnen Betrieben mit der einheitlichen Funktion des Systems nicht vereinbar wäre (BAG v. 14.11.2006 – 1 ABR 4/06, juris). Sie besteht auch, wenn die Telefondatenanlage durch zentrale Steuerung mit einer filialübergreifenden Rufweiterleitung versehen werden soll, um auch Zeiten außerhalb der üblichen Filialzeiten abzudecken, und wenn eine einheitliche Service-Nummer für das gesamte Unternehmen eingerichtet werden soll (BAG v.11.11.1998 – 7 ABR 47/97, juris).

 

Rz. 784

Weil der Arbeitgeber die Zwecksetzung der freiwilligen Leistung ohne Zustimmung des Betriebsrates alleine festlegen kann, besteht häufig eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates bei Angelegenheiten der betrieblichen Lohngestaltung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, wenn etwa unternehmensweite Provisions- und Prämienregelungen für Vertriebsbeauftragte eingeführt werden sollen (BAG v. 26.4.2005 – 1 AZR 76/04, juris; BAG v. 6.12.1988 – 1 ABR 44/87, juris), wenn einheitliche Entlohnungsgrundsätze für AT-Angestellte geschaffen werden sollen (LAG Niedersachsen v. 31.8.2020 – 1 TaBV 102/19) oder wenn eine einheitliche Jahressondervergütung geschaffen werden soll (BAG v. 11.2.1992 – 1 ABR 51/91, juris). Dasselbe gilt, wenn sich der Arbeitgeber zu jährlichen Gehaltsanpassungen nach einem bestimmten Schema verpflichten will und wenn er dies an die Bedingung einer unternehmenseinheitlichen Regelung knüpft (LAG Düsseldorf v. 17.6.2016 – 6 TaBV 20/16, juris: keine zwingende Mitbestimmung, weil Entgelthöhe). Auch wenn nicht die innerbetriebliche, sondern die unternehmensweite Lohngerechtigkeit betroffen ist und der Arbeitgeber unternehmenseinheitlich Mittel zur Verfügung stellt, ist die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats gegeben (BAG v. 26.9.2017 – 1 ABR 27/16, juris). Reine Zweckmäßigkeit und der Wunsch nach unternehmenseinheitlicher Regelung – hier: Mitbestimmung bei tariflichen Leistungszulagen – ist aber nicht geeignet, in Angelegenheiten der erzwingbaren Mitbestimmung die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zu begründen; weder der allgemeine noch der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 75 Abs. 1 BetrVG) wirken zuständigkeitsbegründend für den Gesamtbetriebsrat (LAG Hessen v. 26.11.2012 – 16 T...

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