Entscheidungsstichwort (Thema)

Zwingende unternehmenseinheitliche Regelungen als Begründung für die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats

 

Leitsatz (amtlich)

Der GBR ist nach § 50 I BetrVG zuständig für den Abschluss einer GBV zur Regelung der Entlohnungsgrundsätze für AT-Angestellte, wenn ein mit allen - nach Struktur und Aufgabe gleichartigen - Betrieben an denselben Mantel- und Entgelttarifvertrag gebundenes Unternehmen AT-Angestellte unternehmenseinheitlich nach einer an die Tarifverträge anknüpfenden Vergütungsstruktur behandeln will.

 

Leitsatz (redaktionell)

Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Regelung der Vergütungsstruktur der AT-Angestellten steht grundsätzlich den örtlichen Betriebsräten und nicht originär dem Gesamtbetriebsrat zu. Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Gesamtbetriebsrat für eine Angelegenheit, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betrifft, originär zuständig, wenn ein zwingendes Erfordernis für eine betriebsübergeifende Regelung besteht. Dieses Erfordernis kann sich aus technischen oder rechtlichen Gründen ergeben. Will der Arbeitgeber eine unternehmenseinheitliche Vergütungsstruktur im Bereich der AT-Angestellten praktizieren, um der unternehmenseinheitlichen Lohn- und Gehaltsgerechtigkeit Rechnung zu tragen, ergibt sich daraus die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

 

Normenkette

BetrVG § 50 Abs. 1, § 87 Abs. 1 Nr. 10

 

Verfahrensgang

ArbG Hannover (Entscheidung vom 30.10.2019; Aktenzeichen 11 BV 6/19)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hannover vom 30. Oktober 2019 - 11 BV 6/19 - abgeändert:

Die vom Beteiligten zu 2) verweigerten Zustimmungen zur Eingruppierung

- der N. W. in die AT-Stufe 1 (GBV AT ntltd.)

- des H. Y. in die AT-Stufe 1 (GBV AT ntltd.)

- des M. M. in die AT-Stufe 1 (GBV AT ntltd.)

- des R. B. in die AT-Stufe 2 (GBV AT ntltd.)

werden ersetzt.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten noch über die Ersetzung der Zustimmung des Beteiligten zu 2 zur Eingruppierung der außertariflichen Angestellten Frau W. und der Herren Y., M. und B..

Die Beteiligte zu 1 ist ein Tochterunternehmen der D... AG mit bundesweit ca. 8.500 Mitarbeiter/innen. Sie vertreibt in ca. 850 Finanzcentern Bank- und Finanzdienstleistungen der P.-bank sowie zusätzliche Angebote wie Postdienstleistungen, Telekommunikationsprodukte, Papier- und Schreibwaren. Für die Tarifbeschäftigten der Beteiligten zu 1 gilt bundesweit ein einheitlicher Manteltarifvertrag sowie ein einheitlicher Entgelttarifvertrag. Nach Maßgabe eines Zuordnungstarifvertrages sind bundesweit 12 Flächenbetriebe und ein Betrieb Zentrales Management gebildet, in denen jeweils Betriebsräte bestehen. Der Beteiligte zu 2 ist der Betriebsrat des Flächenbetriebs A-Stadt. Der Beteiligte zu 3 ist der bei der Beteiligten zu 1 im Zuge einer Umstrukturierung zum 1. Januar 2006 gebildete Gesamtbetriebsrat.

Seit 2006 werden die Arbeitsverhältnisse der außertariflichen Mitarbeiter der Beteiligten zu 1 durch die Gesamtbetriebsvereinbarung "Gehaltsregelungen für außertarifliche nichtleitende Arbeitnehmer bei der P.-bank Filialvertrieb AG" vom 10. Februar 2006 (nachfolgend GBV nltd.) geregelt. Diese GBV (Bl. 39-44 d. A.) regelt die Arbeitsbedingungen der außertariflichen nichtleitenden Angestellten im Hinblick auf die Mindestbedingungen des Arbeitsvertrages (§ 2) und die Gehaltsregelungen (§ 3). Nach § 3 Abs. 1 GBV nltd. setzt sich das Gehalt aus einem Jahresgrundgehalt und einem Bonus pro Geschäftsjahr zusammen und ergibt das Jahreszielgehalt. Die GBV nltd. regelt die Jahreszielgehälter und die Gehaltsbandbreiten der Jahreszielgehälter in den AT-Stufen sowie in § 4 die Höhe eines Bonus, welcher vom Unternehmenserfolg der Antragstellerin zu 1 und vom individuellen Zielerreichungsgrad abhängt.

Die Zuordnung der außertariflichen Angestellten in eine Vergütungsstruktur erfolgt nach der Anlage 1 (Bl. 44 d. A.) und den dort normierten "Orientierungssätzen für die Einordnung zu AT-Stufen" in 4 dort näher definierte Stufen. Die Beteiligten zu 1 und 3 haben die GBV nltd. 2006 regelmäßig im Hinblick auf die in § 3 Abs. 7 normierten Gehaltsobergrenzen angepasst, wenn im Tarifbereich die Gehälter erhöht wurden; auf diese Weise sollte das Abstandsgebot zwischen Tarifbeschäftigten und außertariflich Beschäftigten im Hinblick auf die gewährte Vergütung gewahrt bleiben.

Auch im Flächenbetrieb A-Stadt kam seit 2006 auf die außertariflichen Mitarbeiter/innen die GBV nltd. zur Anwendung, die Eingruppierung erfolgte nach Zustimmung des Beteiligten zu 2 jeweils nach Maßgabe der Anlage 1.

Ob bei Abschluss der GBV nltd. 2006 der Beteiligte zu 2 einen formwirksamen Beschluss nach § 50 Abs. 2 BetrVG gefasst und den Beteiligten zu 3 mit der Verhandlung der GBV nltd. 2006 beauftragt hat, lässt sich nicht mehr feststellen. Die Beteiligte zu 1 lässt sich Delegationsbeschlüsse nicht schriftlich vorlegen, der ...

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