Rz. 457

Die Betriebsratssitzungen finden gem. § 30 BetrVG i.d.R. während der Arbeitszeit statt. Dabei sind die betrieblichen Notwendigkeiten zu berücksichtigen. Es darf also z.B. im Kaufhaus keine Betriebsratssitzung auf den Samstagvormittag gelegt werden, wenn die Belegschaftsbesetzung da ohnehin knapp ist. Ebenso darf in der Spedition die Sitzung nicht auf die Mittagsstunden gelegt werden, wenn dies dazu führt, dass die Betriebsratsmitglieder den ganzen Tag als Fahrer ausfallen. Notfalls muss die Sitzung auch einmal außerhalb der persönlichen Arbeitszeit eines oder mehrerer Betriebsratsmitglieder stattfinden (dies lässt sich z.B. in Schichtbetrieben oft überhaupt nicht vermeiden). Der Arbeitgeber ist vom Zeitpunkt der Sitzung (Lage und voraussichtliche geschätzte Dauer) vorher zu verständigen, und zwar so rechtzeitig, dass er ggf. Einwendungen im Hinblick auf betriebliche Notwendigkeiten erheben kann. Beachtet der Betriebsratsvorsitzende die betrieblichen Notwendigkeiten nicht, kann der Arbeitgeber die Sitzung durch Antrag auf einstweilige Verfügung vom ArbG verschieben lassen (a.A. LAG Berlin-Brandenburg v. 18.3.2010 – 2 TaBV 2694/09, juris, das keinen mit einstweiliger Verfügung durchsetzbaren allgemeinen Unterlassungsanspruch anerkennen und den Arbeitgeber auf § 23 Abs. 3 BetrVG und die Amtsenthebung verweisen will).

 

Rz. 458

Während der Corona-Pandemie war es für den Betriebsrat möglich, Sitzungen nicht in Präsenz, sondern auch mittels Telefon- oder Videokonferenz abhalten zu lassen (§ 129 BetrVG mit verschiedentlicher befristeter Geltung). Diese Möglichkeit ist nunmehr – durch das BetriebsrätemodernisierungsG 2021 – in § 30 BetrVG dauerhaft geschaffen, allerdings mit verschiedenen Einschränkungen.

Diese Möglichkeit muss in der Geschäftsordnung festgehalten sein.
Die Geschäftsordnungsregelung muss den Vorrang der Präsenzsitzung sichern, darf also nur Regelungen für bestimmte Fälle enthalten (Einzelheiten Rdn 429 und 432).
Der Vorsitzende muss – soll die Betriebsratssitzung nicht in Präsenz aller Mitglieder stattfinden – den Betriebsratsmitgliedern eine angemessene Frist setzen, innerhalb derer sie der Videositzung oder der Teilnahme von Betriebsratsmitgliedern per Telefon oder Video widersprechen können.
Widerspricht mindestens ein Viertel der Mitglieder, muss die Sitzung notfalls abgesagt werden, weil sie dann nur in vollständiger Präsenz stattfinden kann.
Zudem muss sichergestellt sein, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können.
Nach § 30 Abs. 2 S. 2 BetrVG ist die Aufzeichnung der Sitzung unzulässig.
Diejenigen Betriebsratsmitglieder, die per Telefon- oder Videokonferenz an der Sitzung teilnehmen, müssen ihre Teilnahme gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden in Textform bestätigen (§ 34 Abs. 1 S. 4 BetrVG), wobei die Bestätigung der Niederschrift beizufügen ist.
 

Rz. 459

Nicht geklärt ist, ob ein Verstoß gegen die formalen Vorschriften des § 30 und § 34 BetrVG die Beschlussfassung unwirksam macht. Dies ist bei fehlender Bestätigung der Teilnahme in Textform ausgeschlossen. Diese Bestätigung kann nachgeholt werden. Sie hat lediglich Beweissicherungsfunktion. Der Arbeitgeber dürfte die Bezahlung verweigern können, solange die Bestätigung nicht abgegeben ist. Auch wie "sichergestellt" werden kann, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis haben können, ist offen. Jedenfalls dürfte es genügen, wenn die Betriebsratsmitglieder generell oder im Einzelfall versichern, dass keine Dritten mithören oder mitsehen können und wenn die Zuschaltung unter Verwendung eines Konferenzsystems mit PIN oder Link das Mithören Dritter ausschließt (Einzelheiten vgl. etwa Löwisch/Holler, § 30 Rn 25 ff.). Die Vorschrift dient in erster Linie der freien Willensbildung des Betriebsrats. Aus diesem Grund dürfte sich der Arbeitgeber auf eine fehlende Sicherstellung nicht berufen können (insoweit offengelassen von LAG Nürnberg v. 21.6.2021 – 1 TaBV 11/21, juris, das es genügen lässt, dass keine Anhaltspunkte für eine fehlende Sicherstellung vorhanden sind).

 

Rz. 460

Ein Beschluss per Video- oder Telefonkonferenz dürfte unwirksam sein, wenn es überhaupt keine Befugnis hierzu in der Geschäftsordnung des Betriebsrats gibt. Dann besteht nicht einmal der Anschein einer ordnungsgemäßen Sitzung. Auch dürften sich Betriebsratsmitglieder auf die Unwirksamkeit von Beschlüssen berufen können, wenn die übrigen Voraussetzungen nicht eingehalten sind, also etwa unzureichende Festlegungen über den Vorrang der Präsenzsitzung, keine oder zu kurze Fristsetzung für den Widerspruch. Dagegen besteht kein Grund, dass sich der Arbeitgeber oder ein anderer Dritter, etwa ein Arbeitnehmer, auf solche formalen Punkte – ähnlich auch wie auf eine zu kurzfristige Ladung – berufen können soll.

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