Rz. 51

Während vor Inkrafttreten des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes am 1.8.2013 die "Vertretung in bestimmten Angelegenheiten" in einem gesonderten Abschnitt 4 geregelt war, sind nun alle Geschäftsgebühren in Teil 2 Abschnitt 3 VV integriert.

Für die außergerichtliche Vertretung in sozialrechtlichen Angelegenheiten z.B. im Widerspruchsverfahren gegen einen Bescheid der Bundesagentur für Arbeit hält das VV in Nr. 2302 Nr. 1 ebenso bestimmte Sonderregelungen vor wie für die Beratungshilfe nach Nrn. 2500 ff. VV.

 

Rz. 52

Vor der Kündigung eines schwerbehinderten oder eines einem Schwerbehinderten gleichgestellten Menschen muss nach § 168 SGB IX die Zustimmung des Integrationsamts vom Arbeitgeber eingeholt werden. Das Integrationsamt muss den Arbeitnehmer anhören, § 170 Abs. 2 a.E. SGB IX. Vertritt der Anwalt den Arbeitnehmer in diesem Verfahren, entstehen Gebühren gem. Nr. 2300 VV, weil es sich nicht um eine sozialrechtliche, sondern um eine verwaltungsrechtliche Angelegenheit handelt, § 17 Nr. 1a RVG.[109] Der Gegenstandswert beträgt 5.000 EUR, § 23 Abs. 1 S. 1 RVG i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.[110]

 

Rz. 53

Das Verwaltungsverfahren und das nachfolgende Widerspruchsverfahren sind nach § 17 Abs. 1a RVG zwei gesonderte (verwaltungsrechtliche) Angelegenheiten, die von der arbeitsrechtlichen Angelegenheit zu unterscheiden sind. Für die Tätigkeit im Verwaltungsverfahren (z.B. Vertretung des Arbeitnehmers im Verfahren zur Zustimmung für eine Kündigung nach SGB IX) erhält der Anwalt eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV. Für die Vertretung im Widerspruchsverfahren entsteht eine weitere Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV, die aber im Fall der Vorbefassung des Anwalts im Verwaltungsverfahren nach Maßgabe der Vorbemerkung 2.3 Abs. 4 und 6 VV angerechnet wird:[111] Soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr für eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren entstanden ist, wird diese Gebühr zur Hälfte, bei Wertgebühren jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf eine Geschäftsgebühr für eine Tätigkeit im weiteren Verwaltungsverfahren, das der Nachprüfung des Verwaltungsakts dient, angerechnet; bei einer Betragsrahmengebühr beträgt der Anrechnungsbetrag höchstens 207 EUR. Bei der Bemessung einer weiteren Geschäftsgebühr innerhalb eines Rahmens ist nicht zu berücksichtigen, dass der Umfang der Tätigkeit infolge der vorangegangenen Tätigkeit geringer ist. Bei einer Wertgebühr erfolgt die Anrechnung nach dem Wert des Gegenstands, der auch Gegenstand des weiteren Verfahrens ist.

 

Rz. 54

Typischerweise hat der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit dem Verwaltungsverfahren zusätzliche arbeitsrechtliche Fragen, insbesondere dann, wenn das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung erteilt. Hierbei handelt es sich um eine gesonderte arbeitsrechtliche Angelegenheit i.S.v. § 15 RVG, die – je nach Art und Umfang der diesbezüglichen anwaltlichen Tätigkeit – entweder nach einer Vergütungsvereinbarung gem. § 34 RVG oder nach Nr. 2300 VV abzurechnen ist.

Eine Anrechnung von Gebühren in unterschiedlichen Angelegenheiten sieht weder das RVG noch das VV vor. Der Anwalt erhält also eine Vergütung für seine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren und zusätzlich eine Vergütung für seine Tätigkeit in der arbeitsrechtlichen Angelegenheit.

 

Rz. 55

 

Beispiel

Der schwerbehinderte Arbeitnehmer kommt mit einem Schreiben des Integrationsamtes zum Anwalt, wonach der Arbeitgeber die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses beantragt hat. Der Arbeitnehmer beauftragt den Anwalt, ihn in dem Verwaltungsverfahren vor dem Integrationsamt zu vertreten. Ferner möchte der Arbeitnehmer wissen, welche arbeitsrechtlichen Folgen eine Zustimmung des Integrationsamtes für ihn haben kann.

Der Anwalt kann seine verwaltungsrechtliche Tätigkeit gegenüber dem Integrationsamt nach Nr. 2300 VV RVG abrechnen. Sofern es zu einer Besprechung beim Arbeitgeber kommt, wird regelmäßig ein besonderer Umfang der anwaltlichen Tätigkeit anzunehmen sein. Bei einem Gegenstandswert von 5.000 EUR (siehe § 52 Abs. 2 GKG) und einer Mittelgebühr von 1,5 erhält der Rechtsanwalt dafür eine Vergütung von 501 EUR zzgl. Auslagen und Mehrwertsteuer.[112]

Seine beratende arbeitsrechtliche Tätigkeit kann der Anwalt gesondert abrechnen.

[109] Vgl. Schaefer/Schaefer/Simon, § 3 Rn 74; Schneider, § 27 Rn 23.
[110] Vgl. Schneider, § 27 Rn 26.
[111] Vgl. Schneider, § 27 Rn 25.
[112] Durch das Kostenrechtsänderungsgesetz 2021, das am 1.1.2021 in Kraft getreten ist (BGBl 2020, 3229 ff.), wurden die Gebührenbeträge pro Streitwert erhöht und die Gebührensprünge verändert.

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