A. Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist

 

Rz. 1

Für den Verteidiger können sich in verschiedenen Stadien des Bußgeldverfahrens Gelegenheiten ergeben, den Rechtsbehelf der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu nutzen.

 

Rz. 2

Der Wiedereinsetzungsantrag kann nach § 52 OWiG bei der Verwaltungsbehörde gestellt werden, wenn dort der Einspruch bereits als verfristet angesehen wird. Ist die Sache bereits bei Gericht anhängig, ist das Gericht für den Wiedereinsetzungsantrag bezüglich des Einspruchs zuständig. Ebenfalls ist das Gericht zuständig, wenn gegen die Entscheidung über den verspäteten Einspruch nach § 70 OWiG der Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt wird.

 

Rz. 3

Die Wiedereinsetzung kann von Amts wegen gewährt werden, der Antrag kann auch stillschweigend positiv beschieden werden. Wenn das Gericht den Antrag auf Wiedereinsetzung verwirft, muss auch zugleich über den nachgeholten Rechtsbehelf entschieden werden.

 

Rz. 4

Die Wirkung der Wiedereinsetzung ist, dass der verspätete Rechtsbehelf als rechtzeitig angesehen wird und das Verfahren so fortgesetzt wird, als ob die Frist nicht versäumt worden wäre. Das bedeutet: Die Rechtskraft des Bußgeldbescheides entfällt ohne weiteres bzw. die Entscheidungen nach §§ 69 oder 70 OWiG werden beseitigt, ohne dass es einer förmlichen Aufhebung bedarf. Weitere Konsequenz: Die Frist zur Verfolgungsverjährung beginnt neu, sofern sie noch nicht abgelaufen war und sofern nicht Vollstreckungsverjährung eingetreten war.

 

Rz. 5

Der Verteidiger muss zudem bei der Verwaltungsbehörde bzw. wenn die Sache schon bei Gericht ist, bei diesem zeitgleich Vollstreckungsaufschub beantragen, denn die Vollstreckung des Bußgeldbescheides wird durch den Wiedereinsetzungsantrag nicht gehemmt.

 

Rz. 6

Gegen den Beschluss, der den Antrag auf Wiedereinsetzung verwirft, ist die sofortige Beschwerde statthaft. Entscheidungsbefugt ist die Kammer für Bußgeldsachen beim Landgericht.

B. Wiedereinsetzung bezüglich der versäumten Widerspruchsfrist nach § 72 OWiG

 

Rz. 7

Gegen die seitens des Gerichts mit mindestens 2 Wochen zu bemessende Frist zur Erklärung über den Widerspruch gegen die Entscheidung im Beschlussweg ist nach § 72 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 OWiG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorgesehen. Wird der zugleich mit der Rechtsbeschwerde eingelegten Wiedereinsetzung stattgegeben, liegt ein Hindernis für die Entscheidung im schriftlichen Verfahren vor, der Beschluss ist hinfällig und es muss Termin zur Hauptverhandlung bestimmt werden.

 

Rz. 8

Der Verteidiger muss für die Fristberechnung dabei genau beachten, an wen die Aufforderung zur Erklärung zugestellt wurde: Denn in einer Wiedereinsetzungsentscheidung des LG Duisburg[1] wurde klargestellt, dass es für die zweiwöchige Frist zur Einlegung eines Widerspruchs gegen eine Entscheidung durch Beschluss bei fehlender schriftlicher Vollmacht des Verteidigers auf den Eingang des Anhörungsschreibens beim Betroffenen ankommt.

[1] LG Duisburg, Beschl. v. 10.1.2013 – 69 Qs – 371 Js 1538/12 – 92/12 – juris.

C. Wiedereinsetzung bezüglich des versäumten Hauptverhandlungstermins

 

Rz. 9

Voraussetzung für eine erfolgreiche Wiedereinsetzung bezüglich der versäumten Hauptverhandlung ist, dass der Betroffene von der Ladung zum Termin unverschuldet keine Kenntnis hatte oder ohne Verschulden an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen konnte.[2]

 

Rz. 10

Der Betroffene kann gem. § 74 Abs. 4 OWiG sowohl gegen das Urteil nach § 74 Abs. 1 OWiG, also das Abwesenheitsverfahren, als auch gegen das Urteil nach § 74 Abs. 2 OWiG, also das Verwerfungsurteil, beim Amtsgericht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen. Über diese Möglichkeit ist er auch explizit zu belehren, § 74 Abs. 4 S. 2 OWiG.

 

Rz. 11

Auf den ersten Blick verwundert dabei die Möglichkeit der Wiedereinsetzung bei versäumtem Abwesenheitsverfahren. Immerhin geschieht die Entbindung doch explizit auf Antrag des Betroffenen. Hier aber ist das Korrelat des Anwesenheitsrechts zu beachten: Entscheidet sich der Betroffene, doch an der Hauptverhandlung teilnehmen zu wollen, stehen ihm natürlich die Rechte wie demjenigen zu, der nicht von der Erscheinenspflicht entbunden worden ist. Das Fernbleiben von der Abwesenheitsverhandlung muss aber unfreiwillig sein und der Grund für das entschuldigte Fernbleiben darf nicht vorher bekannt gewesen sein. Bei freiwilliger und bewusst gewählter Abwesenheit besteht kein Wiedereinsetzungsanspruch.[3]

 

Rz. 12

Wichtig dabei ist, dass der Verteidiger gleichzeitig die Rechtsbeschwerde einlegt bzw. deren Zulassung beantragt: Die beiden Rechtsbehelfe stehen selbstständig nebeneinander.[4]

 

Rz. 13

Die Gründe für die Wiedereinsetzung sind glaubhaft zu machen. Dies entspricht nicht dem Vollbeweis, sondern die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit der Tatsachen ist für das entscheidende Gericht relevant. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird nur in Ausnahmefällen ausreichen,[5] in der Regel werden Angaben zur Art der Erkrankung gefordert.[6]

 

Rz. 14

Die falsche Information des Verteidigers über die zu erwartende Verlegung des Hauptverhandlungstermins hilft im Wiedereinsetzungsverfahren nicht über die Verschuldensfrage hinweg. Denn ohne positive Kenntnis davon, ob einem Verlegungsantrag (des Verteidiger...

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