Rz. 1

Die Frage, was unter dem "Sitz" einer Gesellschaft zu verstehen ist, muss in verschiedenen rechtlichen Zusammenhängen (Registerrecht, Gesellschaftsrecht, Steuerrecht etc.) teilweise unterschiedlich beantwortet werden.[1] Wichtig sind folgende begriffliche Unterscheidungen: Da eine Kapitalgesellschaft durch Eintragung im Handelsregister entsteht, hat sie jedenfalls einen bestimmten Registersitz.[2] In der Regel ist das derjenige Ort, den der Gesellschaftsvertrag als Sitz festgelegt hat (Satzungssitz).[3] Beides ist aber begrifflich zu trennen. In bestimmten Zusammenhängen ist weiterhin der effektive Verwaltungssitz von Bedeutung, also der Ort, an dem sich die Geschäftsleitung befindet und die Gesellschaft ihr Tätigkeitszentrum innehat.[4] Diese Unterscheidung zwischen Satzungs- und Verwaltungssitz ist den meisten Mitgliedstaaten der EU geläufig.[5] Sodann hat die GmbH-Reform 2008 mit dem MoMiG[6] den Terminus der inländischen Geschäftsanschrift eingeführt, die bei Anmeldung der Gesellschaft mitzuteilen ist (§§ 8 Abs. 4 Nr. 1 GmbHG, 10 Abs. 1 GmbHG; siehe auch die entsprechenden Regeln für die AG in §§ 37 Abs. 2 Nr. 2, 39 Abs. 1 S. 1 AktG). Hinzu kommt, dass der Sitz eine materiell-rechtliche Bedeutung im nationalen Recht und zugleich eine kollisionsrechtliche Bedeutung bei grenzüberschreitenden Vorgängen hat.[7]

 

Rz. 2

In der Praxis laufen all diese Bezeichnungen häufig auf ein und denselben geographischen Ort hinaus. Die Gesellschaft wird typischerweise in dem Gerichtsbezirk eingetragen, in dem sie ihren Satzungssitz wählt; dort wird sie in der Regel auch ihre Geschäftsleitung ansiedeln und zweckmäßigerweise deren Adresse als inländische Geschäftsanschrift angeben. Zu rechtlichen Schwierigkeiten führen Sachverhalte, bei denen die genannten Bezeichnungen auf unterschiedliche Orte hinweisen (Sitzaufspaltung).[8] Besondere rechtliche Komplexität erlangen Sachverhalte, bei denen sich die betreffenden Orte auf das Territorium verschiedener Staaten verteilen. Von einer Sitzverlegung i.w.S. kann man sprechen, wenn sich Register-, Satzungs-, Verwaltungssitz oder inländische Geschäftsanschrift nach Gründung der Gesellschaft verändern.

 

Rz. 3

Die verschiedenen Begrifflichkeiten des Sitzes einer Gesellschaft sollen einleitend unter B. (siehe Rdn 4 ff.) in ihrer allgemeinen rechtlichen Bedeutung betrachtet werden. Im Anschluss daran wird unter C. die rechtlich weniger problematische Verlegung des Sitzes im Inland behandelt (siehe Rdn 13 ff.). Bei der Sitzverlegung über die Grenze wird unter D. und unter E. danach unterschieden, ob es sich um den Verwaltungssitz (siehe Rdn 16 ff.) oder um den Satzungssitz (siehe Rdn 49 ff.) handelt.

[1] Hierzu im Kontext auch grenzüberschreitender Maßnahmen der Sitzverlegung Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, 2015, S. 7 ff.; Limmer/Knaier, in: Handbuch der Unternehmensumwandlung, Kap. 6 Rn 249.
[2] Diesem kommt regelmäßig eine bedeutende Rolle für die Identifikation einer Gesellschaft zu, etwa wenn eine Gesellschaft Inhaberin von Geschäftsanteilen einer GmbH ist, muss diese gem. § 40 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GmbHG unter Angabe des Registersitzes, der Registernummer sowie des zuständigen Registers in die Gesellschafterliste eingetragen werden; hierzu Paefgen, in: Habersack/Casper/Löbbe, GmbHG, § 40 Rn 39, auch zur Behandlung ausländischer Kapitalgesellschaften in Rn 42.
[3] Vgl. Cziupka, in: Scholz, GmbHG, § 4a Rn 8 ff.; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 4a Rn 3 ff.
[4] Dies wird regelmäßig formelhaft definiert als der Ort, an welchem sich der Tätigkeitsort der Geschäftsleitung und der dazu berufenen Gesellschaftsorgane befindet, wo die grundlegenden Entscheidungen der Geschäftsführung effektiv in die laufende Geschäftsführung umgesetzt werden, vgl. BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, BGHZ 97, 269, 272.
[5] Gsell/Flaßhoff/Krömker, in: van Hulle/Gesell, European Corporate Law, 2006, S. 25 ff.; siehe im Detail auch die Länderberichte in diesem Handbuch.
[6] Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 23.8.2008, BGBl I, S. 2026. Zur Begründung der Änderungen Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks 16/6140, S. 35, 52.
[7] Hierzu Heinze, in: MüKo-GmbHG, § 4a Rn 7; Schmidt-Leithoff, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 4a Rn 5.
[8] Dies wurde zuletzt im Zusammenhang mit dem Company Law Package (dazu Rdn 73) unter Aspekten der Indizwirkung einer Sitzaufspaltung für das Vorliegen einer missbräuchlichen Gestaltung diskutiert, dazu etwa Kraft, BB 2019, 1864, 1867.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge