Rz. 1

Allein in Deutschland werden mehr als 40 % der Bundessteuern durch geeichte Messgeräte erwirtschaftet.[1] Aufgrund dieser wirtschaftlichen Bedeutung hat die Europäisierung auch hier Einzug gehalten. Durch nachträgliche Anpassungen an europäische Entwicklungen entstand eine zunehmende Unübersichtlichkeit, weshalb die gesetzliche Grundlage des Mess- und Eichwesens umfassend neu geordnet wurde.[2] Dadurch wurden auch amtliche Messungen von der Reform betroffen.

 

Rz. 2

Am 1.1.2015 traten das Mess- und Eichgesetz (MessEG) sowie die zugehörige Mess- und Eichverordnung (MessEV) in Kraft. Sie lösten das bisherige System aus Eichgesetz (EichG) und Eichordnung (EichO) ab. Das Zulassungsverfahren wurde privatisiert. An die Stelle der staatlichen Zulassungsbehörde, der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt (PTB), treten künftig private Stellen, welche vor dem Inverkehrbringen neuer Messgeräte die Konformität mit den gesetzlichen Anforderungen bescheinigen. Dies ersetzt die Bauartzulassung nach altem Eichrecht. Die bisherige Nacheichung bleibt als hoheitlicher Akt hingegen erhalten.[3]

 

Rz. 3

Bislang musste ein Messgerät zur amtlichen Überwachung des Straßenverkehrs zuerst von der PTB zugelassen und sodann von einer staatlichen Behörde geeicht werden. Auf dieses bewährte Ex-ante-Genehmigungsverfahren wird nunmehr zugunsten eines in europäischen Regelungen weit verbreiteten "neuen Ansatzes" verzichtet. Es wird auf mehr Eigenverantwortlichkeit des Herstellers gesetzt.[4] Für das Inverkehrbringen neuer Geräte gilt danach Folgendes:

 

Rz. 4

Für jede Art von Messgerät ist nur noch eine sog. Konformitätsbewertung gem. § 6 Abs. 3 MessEG, § 9 MessEV erforderlich, wonach der Hersteller von einer anerkannten privaten Stelle (Konformitätsstelle) überprüfen und bestätigen lassen muss, dass sein Gerät die wesentlichen gesetzlichen Anforderungen erfüllt. Solange es solche privaten Stellen noch nicht gibt, übernimmt die PTB diese Aufgabe gem. § 14 Abs. 3 S. 3 MessEG. Im Wesentlichen entspricht dies inhaltlich der früheren Bauartzulassung und Ersteichung.[5] Daher entfällt gem. § 37 Abs. 1 S. 2 MessEG die Ersteichung.

Anfänglich wurde wegen der "Privatisierung" des Verfahrens vor allem von der Anwaltschaft in Zweifel gezogen, ob insoweit noch die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens gewahrt bleiben.[6] In der Praxis gab es diesbezüglich bislang keine Auswirkungen, zumal mit der PTB eine Behörde bis auf Weiteres involviert bleibt. Jedenfalls in dieser Konstellation bleibt die Rechtsprechung der Ansicht, dass ein sog. "antizipiertes Sachverständigengutachten" vorliegt, welches geringere Anforderungen an den Prüfumfang und den Begründungsaufwand der Fachgerichte stellt.[7]

Sofern nunmehr private Stellen tätig werden, bleiben die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens absehbar in Anwendung – es sei denn, die Verteidigung legt berechtigte Zweifel an der Zuverlässigkeit der Konformitätsbewertungsstelle dar.[8] Selbiges ist hinsichtlich eines gleichwertigen Schutzniveaus anzunehmen, wenn es um ein in einem anderen EU-Staat in Verkehr gebrachtes Messgerät gehen sollte. Erst durch aktives Verteidigerverhalten wird ein Gericht im Einzelfall prüfen müssen, ob das Messverfahren standardisiert ist.[9]

 

Rz. 5

Die zu prüfenden wesentlichen Anforderung i.S.d. § 6 MessEG – insbesondere die Fehlergrenzen – sind in § 7 MessEV aufgeführt. Das Gesetz beschränkt sich auf die Festlegung von Grundsätzen, deren Ausfüllung technischen Regeln überlassen wird. Diese sog. PTB-Anforderungen (PTB-A) werden von einem Ermittlungsausschuss festgesetzt und von der PTB über den Bundesanzeiger veröffentlicht, § 46 MessEG. Hierdurch sollen die gesetzlichen Regelungen von technischen Einzelfragen "entschlackt" und gleichzeitig aufgrund des technischen Fortschritts eine höhere Flexibilität erzielt werden.[10] So hat die PTB im Oktober 2015 für Geschwindigkeitsmessgeräte die Richtlinie PTB-A 12.01 und für Rotlicht-Überwachungsanlagen die Richtlinie 12.02. erlassen. Seitdem werden die Anforderungen für die einzelnen Messverfahren weiter konkretisiert (PTB-A 12.03, 12.04, etc.). Diese sind ohne Weiteres im Internet über die gängigen Suchmaschinen aufrufbar.

Die PTB-Anforderungen sind nach Einschätzung der obergerichtlichen Rechtsprechung lediglich konkretisierend. Hinsichtlich der Konformitätsbewertung bleiben aber allein die Regelungen des Mess- und Eichrechts maßgeblich. Die eichrechtliche Konformitätsbewertung soll daher unangetastet bleiben, auch wenn die PTB-Anforderungen in einzelnen Punkten hiervon abweichen.[11] Hier bleibt dennoch ein Ansatzpunkt für die Verteidigung, sofern der Sinn und Zweck der PTB-A in technischer Sicht in den Kontext der konkreten[12] Messung gesetzt wird. Hierzu wird in der Regel vorab ein Sachverständiger zurate gezogen werden müssen.

 

Gerichte hinterfragen die PTB-Anforderungen nicht von sich aus!

Eine inhaltliche Überprüfung der PTB-A durch die Fachgerichte ist im System des standardisierten Messverfahrens nicht vorgesehen. Dies is...

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