A. Rechtsschutzversicherung

 

Rz. 1

Die Rechtsschutzversicherung[1] besteht aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer. Auf europarechtlicher Ebene ist die Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit zu beachten. Auf nationaler Ebene ist insbesondere das Versicherungsvertragsgesetz zu beachten. Das Kapitel Rechtsschutzversicherung umfasst dabei nur § 125 bis § 129 VVG. § 127 VVG garantiert die freie Anwaltswahl, in Abs. 1 S. 1 für die gerichtliche Vertretung und in Abs. 1 S. 2 für den außergerichtlichen Bereich. Abweichende Vereinbarungen zum Nachteil des Versicherungsnehmers verbietet § 129 VVG.

Der Vertragsinhalt wird mit dem Versicherungsschein, auch Police genannt, vom Versicherer dokumentiert, § 3 VVG. Die Dokumentationen verweisen auf "Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzschutzversicherung" (ARB). Weder die Versicherungsscheine noch die ARB sind einheitlich. Es ist daher wichtig, den exakten Inhalt des Rechtsschutzvertrages zu ermitteln. Zu wissen, welche Fassung der ARB Vertragsbestandteil ist, ist notwendige Voraussetzung für eine versicherungsrechtliche Prüfung für den Mandanten. Der genaue Inhalt des Vertrages lässt sich auch für Juristen nur schwer erkennen.[2]

Der Bundesgerichtshof stellt bei der Auslegung der ARB auf die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ab. "Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen kann. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind".[3]

Welche Leistung der Versicherungsnehmer beanspruchen kann, ist eine Frage des Einzelfalls geworden. Pauschale Aussagen lassen sich nicht mehr ohne weiteres treffen. Der Wegfall der Genehmigungspflicht von Versicherungsbedingungen hat im Bereich Rechtsschutz zu einer Intransparenz geführt, die dem Massengeschäft Rechtsschutzversicherung nicht gerecht wird. Selbst Experten können die auf dem Markt angebotenen Produkte nicht vergleichend bewerten.

Die Komplexität des Produktes Rechtsschutzversicherung nutzen Versicherer, um unter den Stichworten "aktives Schadensmanagement"[4] andere Strukturen aufzubauen, die dem Versicherungsnehmer einen einfachen Zugang zum Recht vor Augen führen (telefonische Hotlines und online Rechtsberatung, auch ohne Versicherungsfall und ohne Selbstbeteiligung[5]). Vom Versicherer ausgewählte Anwälte[6] werden als besonders kompetent oder vertrauenswürdigt empfohlen, wobei die Auswahl tatsächlich von der Interessenlage des Versicherers abhängig ist. Regelmäßig wird ein Abrechnungsverhalten der ausgewählten Anwälte gesondert vertraglich geregelt. Teilweise kanalisieren Versicherer schon deutlich mehr als 50 % der Schadensfälle zu ihren Vertrauensanwälten. Dies wird der europarechtlichen Vorgabe nach freier Wahl des Rechtsanwalts durch Artikel 201 der Richtlinie 2009/138/EG nicht gerecht, die nach Art 288 AEUV hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist. Im deutschen Recht wird durch § 127 VVG die freie Anwaltswahl[7] garantiert; die Praxis widerspricht der normativen Regelung. Mit wirtschaftlichen Anreizen setzen die Versicherer mit ihrer Macht eigene Strukturen durch.

Die Leistung des Versicherers regelt § 125 VVG. Bei der Rechtsschutzversicherung ist der Versicherer verpflichtet, die für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers oder des Versicherten erforderlichen Leistungen im vereinbarten Umfang zu erbringen (Leitbild[8]). Diese Bestimmung ist nach § 129 VVG nicht zwingend. Den Rechtsschutzversicherern soll dadurch die Möglichkeit eröffnet werden, neue Versicherungs- und Leistungsformen zu entwickeln.[9]

Nach Art. 203 der Richtlinie 2009/138/EG haben die Mitgliedsstaaten zur Regelung etwaiger Streitfälle zwischen der Rechtsschutzversicherung und dem Versicherten ein Schiedsverfahren oder ein anderes Verfahren anzubieten. Wenn ein Versicherter von den Kosten seines Rechtsanwalts freigestellt werden will, kann die Versicherung allerdings nach der Ansicht des Bundesgerichtshofes "Abwehrdeckung" erteilen.[10] Der Anspruch des Versicherungsnehmers aus der Rechtsschutzversicherung ist auf die Befreiung von den bei der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen entstehenden Kosten gerichtet; allerdings soll der Versicherer diesen Befreiungsanspruch hinsichtlich der von ihm zu tragenden gesetzlichen Vergütung eines Rechtsanwalts auch dadurch erfüllen können, dass er dem Versicherung...

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