Rz. 68

Selbst dann, wenn man, wie das KG, der vorstehenden Argumentation nicht folgen will und den "Schutzbereich" des § 88 Abs. 3 S. 1 TKG als eröffnet ansieht, wenn ein Anbieter den Erben Zugang zu den Benutzerkonten des Erblassers und den dort gespeicherten Kommunikationen gewährt, so verletzt die Zugangsgewährung gleichwohl nicht das Fernmeldegeheimnis der Kommunikationspartner des Erblassers.

Die Dinge liegen hier nicht anders als in den in § 3 erörterten Fällen. Die von dem jeweiligen Kommunikationspartner dem Erblasser gegenüber erteilte Einwilligung zur Kenntnisnahme und Verfügung über die ausgetauschten Inhalte gilt grundsätzlich auch für seine Erben fort. Ist das ausnahmsweise einmal nicht der Fall, bspw. weil der Inhalt der Kommunikation den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung des Kommunikationspartners berührt, steht dem Kommunikationspartner nur ein Anspruch auf Löschung oder Herausgabe gegen die Erben zu. Der Verschaffung des Zugangs zu dem jeweiligen Benutzerkonto durch den Dienstanbieter stehen auch solche Fälle nicht entgegen.

Das begründet sich im Einzelnen wie folgt:

1. Fernmeldegeheimnis und allgemeines Persönlichkeitsrecht

 

Rz. 69

Das Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 Abs. 1 GG gilt nicht unmittelbar zwischen Privatpersonen. Vielmehr handelt es sich bei dem Grundrecht nach Art. 10 Abs. 1 GG um ein Abwehrrecht des Einzelnen gegen den Staat, das ihn vor rechtswidrigen Eingriffen des Staates in sein Fernmeldegeheimnis schützt. Privatpersonen sind gegenüber privaten Dritten aber nicht schutzlos. Das Grundrecht nach Art. 10 Abs. 1 GG strahlt in das Privatrecht aus, und zwar über das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Wer bspw. einen nicht für ihn bestimmten Brief öffnet, kann sowohl vom Absender als auch vom Empfänger aufgrund der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf Unterlassen in Anspruch genommen werden.[139] Nicht anders ist es bei der Ausspähung elektronischer Kommunikation durch Privatpersonen.[140] § 88 Abs. 3 TKG schützt also (auch) das Fernmeldegeheimnis als spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

 

Rz. 70

Das zeigt sich besonders anschaulich, wenn man Vergleichsfälle bildet, in denen die Erben für den Zugang zu dem Benutzerkonto des Erblassers nicht der Hilfe des jeweiligen Dienstanbieters bedürfen. Dazu folgendes Beispiel:[141]

 

Beispiel

Der Erblasser hinterlässt seinen Erben die Zugangsdaten zu seinem E-Mail-Konto. Die Erben greifen nun mit den ihnen bekannten Zugangsdaten ohne das Wissen des Dienstanbieters auf das Konto zu und nehmen Kontakt zu den Freunden des Erblassers auf. Einer von ihnen ist empört darüber, dass die Erben nun Zugang zu seinen sehr persönlichen Nachrichten an den Erblasser haben und klagt gegen die Erben gem. §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog auf Unterlassung der Nutzung des E-Mail-Kontos, da er dadurch sein Fernmeldegeheimnis verletzt sieht.

 

Rz. 71

In so gelagerten Fällen ist § 88 Abs. 3 TKG weder unmittelbar noch mittelbar anwendbar. Der durch § 88 Abs. 3 TKG zum Schutz des Fernmeldegeheimnisses verpflichtete E-Mail-Anbieter hat den Erben gerade nicht den Zugang zum Benutzerkonto verschafft und ist von den Erben auch nicht auf Zugangsverschaffung in Anspruch genommen worden. Vielmehr stehen sich die Erben und die Kommunikationspartner des Erblassers unmittelbar gegenüber. Die zugrundeliegende rechtliche Frage ist in beiden Fällen aber dieselbe: Wird das Fernmeldegeheimnis der Kommunikationspartner durch den Zugang der Erben verletzt?

[139] Vgl. BGH, Urt. v. 20.2.1990 – VI ZR 241/89, GRUR 1990, 479.
[140] Statt vieler: MüKo-BGB/Rixecker, Abschnitt "Allg. PersönlichR" Rn 1 m.w.N. Dort in Rn 119 m.w.N. auch zum Öffnen von Briefen, Ausspähen von Daten etc.
[141] Siehe schon Pruns, ZErb 2017, 217, 219.

2. Die Einwilligung der Kommunikationspartner als allgemeiner Rechtfertigungsgrund

 

Rz. 72

Da § 88 Abs. 3 TKG in der soeben beschriebenen Fallkonstellation nicht anwendbar ist, lässt sich die Lösung für einen solchen Fall auch nur jenseits dieser Regelung in einem allgemeineren Rechtfertigungsgrund finden.[142] Das ist die Einwilligung der Kommunikationspartner des Erblassers. Mit seiner Einwilligung gibt der Rechtsgutsinhaber sein Rechtsgut in dem von seiner Einwilligung umfassten Umfang preis. Eine Einwilligung entfaltet sowohl in den oben (siehe Rdn 59) beschriebenen, jenseits des Anwendungsbereichs des § 88 Abs. 3 TKG liegenden Fällen, als auch in solchen Fällen, in denen der Schutzbereich des Art. 10 GG oder des § 88 Abs. 3 TKG eröffnet ist, ihre Wirkung.[143]

[142] Siehe zu Lösungsansätzen jenseits des § 88 Abs. 3 TKG und zum hier folgenden Text bereits Pruns, NWB 2014, 2175, 2179 ff.
[143] Zur Einwilligung bei § 88 Abs. 3 S. 1 TKG siehe etwa Bock, in: Beck'scher TKG-Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 88 Rn 19, 56.

3. Die Auslegung der Einwilligung bei internetbasierter Kommunikation

 

Rz. 73

Wie auch sonst muss der Umfang der Einwilligung, also der Umfang der Preisgabe des Rechtsguts, durch Auslegung ermittelt werden, soweit nicht im Einzelfall dieser Umfang ausdrücklich vom Rechtsgutsinhaber bestimmt wurde. Gerade bei internetbasierter Kommunikation lässt sich Letzteres aber regelmäßig nicht feststellen.

 

Rz. 74

Ob sich die Kommunikationspartner bei der Ko...

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