Rz. 57

Richtiger Ansicht nach liegt in der Zugangsverschaffung zu online gespeicherten Inhalten oder Kommunikation – unabhängig davon, ob hier höchstpersönliche oder vermögensrechtliche Inhalte gespeichert sind – durch die Anbieter an die Erben keine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses des Erblassers.[123]

 

Rz. 58

Jede Sortierung nach höchstpersönlichen und vermögenswerten Inhalten durch die Provider – wie z.T. in der Literatur zur Lösung der Problematik des digitalen Nachlasses in diesem Zusammenhang vorgeschlagen[124] – würde eine Kenntnisnahme von den Inhalten voraussetzen, die den Anbietern nach § 88 TKG gerade verboten ist.

Den Zugang generell zu verweigern, hieße zu postulieren, dass sich ausschließlich, überwiegend oder jedenfalls auch private Inhalte in dem betroffenen Account befinden.[125] Diese Annahme kann der Anbieter aber schon deshalb nicht treffen, weil ihm jede Einsichtnahme in die Inhalte zum Zwecke, diese Annahme zu untermauern, durch § 88 TKG verboten wäre. Dass nicht schon aufgrund der Art des Accounts Rückschlüsse auf den Inhalt gezogen werden können, haben wir bereits dargestellt (siehe § 1 Rdn 7 und oben Rdn 9).

 

Rz. 59

Eine generelle Verweigerung des Zugangs, weil sich auf dem Account (zumindest auch) persönliche Inhalte befinden, ist auch unter Berufung auf § 88 TKG nicht zulässig:

Verschafft der Provider den Erben Zugang (oder verhindert er dies zumindest nicht), so geht dies nicht "über das für die geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste […] erforderliche Maß hinaus".[126] Wenn der Anbieter nach dem Tod seines Kunden weiter E-Mails an die Mailadresse des Verstorbenen übermittelt o.Ä., so erfüllt er hierdurch schlicht seine Hauptpflicht aus dem Vertrag, indem er die Kommunikationsinhalte übermittelt. Es bedarf gerade nicht einer expliziten Erlaubnis des Gesetzes hierzu. Eine Verpflichtung der Anbieter, vor der Übermittlung zu überprüfen, ob sich hinter der E-Mail Adresse, dem Account o.Ä. tatsächlich der avisierte Adressat verbirgt, besteht weder lebzeitig noch aufgrund des Todes.[127]

 

Rz. 60

Gewährt ein Anbieter den Erben bewusst Zugang zu dem Account des Verstorbenen, so gibt er dadurch nicht "Kenntnisse", "die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen" "an andere" weiter (§ 88 TKG), sondern an seinen im Wege der Universalsukzession in die Rechtsstellung des Erben eingetretenen Vertragspartner.[128] Insoweit begründet das Erbrecht – um die Worte des KG[129] aufzugreifen – nicht den Konflikt zwischen Erbrecht und Telekommunikationsgeheimnis, sondern es löst diesen. Denn der Erbe ist infolge der Universalsukzession nicht Dritter i.S.d. § 88 TKG.[130] Dem Erben in Anbetracht der Tatsache, dass vor allem E-Mail-, aber auch andere Accounts mehr und mehr die maßgeblichen Unterlagen für die Nachlassabwicklung enthalten, den Zugang zu verweigern, würde dazu führen, eine Nachlassabwicklung künftig unmöglich zu machen; das aber war nicht Intention und Ratio des TKG.[131]

 

Rz. 61

Aus ähnlichen Erwägungen heraus sind auch die Rechte der Kommunikationspartner nicht betroffen. Diesen gegenüber sind die Anbieter ausschließlich verpflichtet, die von ihm bestimmten Kommunikationsinhalte an einen bestimmten Account, an ein bestimmtes elektronisches Postfach zu übermitteln.[132] Genau das tut aber der Anbieter des Kommunikationspartners, wenn er postmortal an den Account des Verstorbenen zustellt. Insofern tritt mit dem Erbfall gerade nicht – wie das KG meint – "eine entscheidende Änderung der Situation" ein.[133] Mit der Frage, ob den Erben des Verstorbenen die Inhalte seines Accounts zugänglich zu machen sind, hat der Anbieter des Kommunikationspartners nichts zu tun. Nutzen Erblasser und Kommunikationspartner zufällig denselben E-Mail-Anbieter oder kommunizieren sie über ein soziales Netzwerk, so bezieht sich zumindest das Vertragsverhältnis zwischen Anbieter und Kommunikationspartner und damit auch dessen Fernmeldegeheimnis nicht auf diese Frage.

 

Rz. 62

Nicht anders ist es im etwa vergleichbaren Fall der Rechtsnachfolge eines Bankgeheimnisses. Ebenso wenig wie das Bankgeheimnis des Erblassers die Weitergabe von Kontodaten an die Erben verhindert, verhindert § 88 TKG, dass die Provider Informationen an die in das Vertragsverhältnis eingetretenen Erben weitergeben. Denn die Erben sind in das Rechtsverhältnis zwischen Erblasser und Bank eingetreten. Den auf das Konto des Erblassers Geld überweisenden oder von diesem Konto Geld einziehenden Personen hat die Bank nur insoweit Leistung versprochen, als sie den Einziehungs- oder den Überweisungsvorgang vornimmt. Nicht versprochen hat sie, den Umstand, dass Gelder überwiesen oder eingezogen wurden und von wem, vor den Erben des Empfängers geheim zu halten. Der BGH hat für den Bankenverkehr deshalb auch ausdrücklich klargestellt: Das Interesse des Erben an der Erlangung der Auskunft des Kreditinstituts geht dem Interesse des Zuwendungsempfängers an der Wahrung des Bankgeheimnisses vor.[134] Nichts anderes gilt im Bereich des digitalen Nachlasses.

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