Rz. 56

Sofern das Fernmeldegeheimnis betroffen sein sollte, so führt das dazu, dass sich zwei Grundrechtspositionen gegenüberstehen: Das Fernmeldegeheimnis auf der einen Seite sowie das Erbrecht des Erblassers und der Erben auf der anderen Seite. Diese beiden Positionen müssen dann im Wege praktischer Konkordanz in einen verhältnismäßigen Ausgleich miteinander gebracht werden. Dabei würde das Erbrecht gegenüber dem Fernmeldegeheimnis nach h.M. überwiegen.[120]

Aufgrund des qualifizierten Gesetzesvorbehalts und des "kleinen Zitiergebots" des § 88 Abs. 3 TKG ist der Gesichtspunkt der praktischen Konkordanz nach Ansicht des KG aber erst bei einem entsprechenden Gesetzesvorgang oder bei einer verfassungsrechtlichen Überprüfung dieses Gesetzes zu berücksichtigen, böte aber keine Rechtfertigung für einen Eingriff ohne entsprechendes Gesetz.[121] I.R.e. verfassungskonformen Auslegung von § 88 TKG sollen aber die Grundsätze praktischer Konkordanz zu berücksichtigen sein (dazu Rdn 89 ff.).[122]

Das kann letztendlich dahinstehen, denn im Ergebnis steht § 88 TKG bereits jetzt dem Anspruch der Erben nicht entgegen.

[120] Klas/Möhrke-Sobolewski, NJW 2015, 3473, 3477; Brisch/Müller-ter Jung, CR 2013, 446, 450; Mayen, in: DAV-Stellungnahme Nr. 34/2013, S. 69, 75 mit ausführlicher Begründung; dem folgend Taeger/Deusch, Tagungsband DSRI 2013, S. 429, 437; Herzog, NJW 2013, 3745, 3751; Solmecke/Köbrich/Schmitt, MMR 2015, 291, 292; Bock, AcP 217 (2017), 370, 408 ff.; a.A. Martini, JZ 2012, 1145, 1150.
[121] So wohl zutreffend das KG, Urt. v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZErb 2017, 225 = ErbR 2017, 496 = ZEV 2017, 386.
[122] Bock, AcP 217 (2017), S. 370, 408 ff.

1. Die Erben sind nicht "andere" i.S.d. § 88 TKG

 

Rz. 57

Richtiger Ansicht nach liegt in der Zugangsverschaffung zu online gespeicherten Inhalten oder Kommunikation – unabhängig davon, ob hier höchstpersönliche oder vermögensrechtliche Inhalte gespeichert sind – durch die Anbieter an die Erben keine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses des Erblassers.[123]

 

Rz. 58

Jede Sortierung nach höchstpersönlichen und vermögenswerten Inhalten durch die Provider – wie z.T. in der Literatur zur Lösung der Problematik des digitalen Nachlasses in diesem Zusammenhang vorgeschlagen[124] – würde eine Kenntnisnahme von den Inhalten voraussetzen, die den Anbietern nach § 88 TKG gerade verboten ist.

Den Zugang generell zu verweigern, hieße zu postulieren, dass sich ausschließlich, überwiegend oder jedenfalls auch private Inhalte in dem betroffenen Account befinden.[125] Diese Annahme kann der Anbieter aber schon deshalb nicht treffen, weil ihm jede Einsichtnahme in die Inhalte zum Zwecke, diese Annahme zu untermauern, durch § 88 TKG verboten wäre. Dass nicht schon aufgrund der Art des Accounts Rückschlüsse auf den Inhalt gezogen werden können, haben wir bereits dargestellt (siehe § 1 Rdn 7 und oben Rdn 9).

 

Rz. 59

Eine generelle Verweigerung des Zugangs, weil sich auf dem Account (zumindest auch) persönliche Inhalte befinden, ist auch unter Berufung auf § 88 TKG nicht zulässig:

Verschafft der Provider den Erben Zugang (oder verhindert er dies zumindest nicht), so geht dies nicht "über das für die geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste […] erforderliche Maß hinaus".[126] Wenn der Anbieter nach dem Tod seines Kunden weiter E-Mails an die Mailadresse des Verstorbenen übermittelt o.Ä., so erfüllt er hierdurch schlicht seine Hauptpflicht aus dem Vertrag, indem er die Kommunikationsinhalte übermittelt. Es bedarf gerade nicht einer expliziten Erlaubnis des Gesetzes hierzu. Eine Verpflichtung der Anbieter, vor der Übermittlung zu überprüfen, ob sich hinter der E-Mail Adresse, dem Account o.Ä. tatsächlich der avisierte Adressat verbirgt, besteht weder lebzeitig noch aufgrund des Todes.[127]

 

Rz. 60

Gewährt ein Anbieter den Erben bewusst Zugang zu dem Account des Verstorbenen, so gibt er dadurch nicht "Kenntnisse", "die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen" "an andere" weiter (§ 88 TKG), sondern an seinen im Wege der Universalsukzession in die Rechtsstellung des Erben eingetretenen Vertragspartner.[128] Insoweit begründet das Erbrecht – um die Worte des KG[129] aufzugreifen – nicht den Konflikt zwischen Erbrecht und Telekommunikationsgeheimnis, sondern es löst diesen. Denn der Erbe ist infolge der Universalsukzession nicht Dritter i.S.d. § 88 TKG.[130] Dem Erben in Anbetracht der Tatsache, dass vor allem E-Mail-, aber auch andere Accounts mehr und mehr die maßgeblichen Unterlagen für die Nachlassabwicklung enthalten, den Zugang zu verweigern, würde dazu führen, eine Nachlassabwicklung künftig unmöglich zu machen; das aber war nicht Intention und Ratio des TKG.[131]

 

Rz. 61

Aus ähnlichen Erwägungen heraus sind auch die Rechte der Kommunikationspartner nicht betroffen. Diesen gegenüber sind die Anbieter ausschließlich verpflichtet, die von ihm bestimmten Kommunikationsinhalte an einen bestimmten Account, an ein bestimmtes elektronisches Postfach zu übermitteln.[132] Genau das tut aber der Anbieter des Kommunikationspartners, wenn er postmortal an den Accou...

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