Rz. 290

Der Arbeitgeber kann beim betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsan­­spruch gemäß § 105 Abs. 5 S. 2 BetrVG von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung entbunden werden, wenn

Die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder

die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder

der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.

 

Rz. 291

Über den Anspruch wird im Urteilsverfahren im Wege der einstweiligen Verfügung entschieden.[524] Den Antrag auf Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht kann der Arbeitgeber während der Dauer des gesamten Kündigungsrechtsstreits stellen.[525] Mit Erlass der einstweiligen Verfügung endet der Weiterbeschäftigungsanspruch. Der Arbeitgeber kann nach rechtskräftiger Abweisung seines Antrags auf Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht einen neuen Antrag stellen, wenn die Tatsachen, auf die er den Antrag stützt, zeitlich nach der abweisenden Entscheidung entstanden sind und nicht dargelegt werden konnten.[526]

 

Rz. 292

Ist der Arbeitgeber von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung entbunden worden und anschließend obsiegt der Arbeitnehmer mit seiner Kündigungsschutzklage, wäre nach der Rechtsprechung des Großen Senats ein allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch gegeben. Nach der Literatur ist die Vorschrift des § 102 Abs. 5 S. 2 BetrVG jedoch vorrangig, so dass auch i.S. dieser Rechtsprechung ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht verbleiben würde.[527]

 

Rz. 293

Entbindungsgründe sind: keine ausreichende Aussicht auf Erfolg oder Mutwilligkeit.

Dass es an der hinreichenden Erfolgsaussicht fehlt, ist nur anzunehmen, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass die Klage offensichtlich oder doch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird.[528] Die Prognose der Aussichtslosigkeit der Klage ist nicht erforderlich.[529]

Mutwillig ist die Klageerhebung, wenn eine verständige Person ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde.[530]

unzumutbare wirtschaftliche Belastung

Eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers wird nur ganz ausnahmsweise angenommen werden können, denn bei einer Weiterbeschäftigung erhält der Arbeitgeber die Gegenleistung durch Leistungserbringung des Arbeitnehmers und im Übrigen wäre er bei Obsiegen des Arbeitnehmers im Kündigungsrechtsstreit ansonsten zur Lohnzahlung aus dem Annahmeverzug verpflichtet.[531]

Die wirtschaftliche Belastung, die der Arbeitgeber glaubhaft machen muss, muss so gravierend sein, dass Auswirkungen für die Liquidität oder Wettbewerbsfähigkeit des Arbeitgebers nicht von der Hand zu weisen sind.[532]

 

Hinweis

Gerade bei Betriebsänderungen kann der Fall eintreten, dass mehrere Arbeitnehmer bei Betriebsänderungen die Weiterbeschäftigung verlangen. In diesen Fall sind nach überwiegender Ansicht die Lohnkosten dieser Arbeitnehmer gemeinsam den ge­samten betrieblichen Lohnkosten gegenüber zu stellen. Ist das Ergebnis dieser Kostenanalyse, dass dem Arbeitgeber zuzumuten ist, statt aller zumindest einige der ­Arbeitnehmer weiter zu beschäftigten, so ist insoweit eine Auswahl zu treffen. Nach zutreffender Ansicht ist die Auswahl nach den Kriterien entsprechend des § 1 Abs. 3 KSchG vorzunehmen.[533] Die Ansicht, die Auswahl unter dem Gesichtspunkt zu treffen, welche Arbeitnehmer auf die vorübergehende Sicherung eines vollen Arbeitseinkommens am meisten angewiesen sind,[534] zielt an sich auf dasselbe Ziel, hat aber den Nachteil, dass die Auswahlgesichtspunkte unter den Beteiligten insgesamt intransparent sind.[535]

offensichtliche Unbegründetheit des Widerspruchs

Offensichtlich unbegründet ist ein Widerspruch des Betriebsrates dann, wenn sich seine Grundlosigkeit bei unbefangener Beurteilung geradezu aufdrängt.[536] Dies ist beispielsweise gegeben, wenn sich der Widerspruch eindeutig nicht auf einen der in Abs. 3 aufgeführten Widerspruchsgründe bezieht,[537] ein vom Betriebsrat als frei bezeichneter Arbeitsplatz gar nicht frei ist[538] oder wenn er sich auf die Nichteinhaltung einer Auswahlrichtlinie beruft, die gar nicht aufgestellt ist.[539] Tatsachen, zu deren Feststellung eine Beweiserhebung notwendig ist, sind nicht offensichtlich.[540]

Der Widerspruch muss im Zeitpunkt der Erhebung offensichtlich unbegründet sein.[541] Erweist sich der Widerspruch erst zu einem späteren Zeitpunkt als offensichtlich unbegründet, so kann dies zur Entbindung der Weiterbeschäftigungspflicht wegen fehlender Erfolgsaussicht der Kündigungsschutzklage führen.[542]

An dieser Stelle sind die Fälle zu unterscheiden, bei denen der Widerspruch bereits nicht ordnungsgemäß ist, somit der Betriebsrat nicht frist- und formgerecht widersprochen hat. Mangels eines ordnungsgemäßen Widerspruchs kommt nach dem Wortlaut des § 102 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 BetrVG an sich kein Entbindungsantrag in Betracht. Hier wird jedoch § 102 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 ...

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