Rz. 184

Eine fehlerhafte Sozialauswahl führt nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG zur Sozialwidrigkeit der betriebsbedingten Kündigung.

Hat der Arbeitgeber versehentlich keine Sozialauswahl vorgenommen oder nicht alle Kriterien berücksichtigt, ist die Kündigung nach Ansicht des BAG nicht aus diesem Grund unwirksam, wenn mit der Person des Gekündigten gleichwohl – und sei es zufällig – eine objektiv vertretbare Auswahl getroffen wurde.[332] Diese Entscheidung betraf die anhand von einem Punkteschema vorgenommene Sozialauswahl und steht im Gegensatz zur bis dahin in allen Fällen geltenden Dominotheorie.

 

Rz. 185

Nach der Dominotheorie konnte sich jeder, unabhängig, ob er sozial stärker oder sozial schwächer als der nach der ursprünglich vorgenommenen Sozialwahl unzutreffend Gekündigte war, auf die falsche Sozialauswahl und somit die Sozialwidrigkeit seiner Kündigung berufen. Dies soll nun seit der zitierten Entscheidung des BAG von 2006[333] nur noch demjenigen möglich sein, der ohne diesen Fehler als sozial schwächer als der Gekündigte anzusehen ist bzw. bei richtiger Punktezahl nicht auf die Liste der zu kündigenden Arbeitnehmer gekommen wäre. Dieser Grundsatz gilt nach einem Teil der Rechtsprechung bei allen Fehlern bei der Sozialauswahl, unabhängig davon, ob diese mit oder ohne Punkteschema vorgenommen wurde.[334]

 

Rz. 186

Zutreffend ist aber in den Fällen, in denen gar kein Auswahlsystem oder ein rechtlich fehlerhaftes Auswahlsystem zur Anwendung gekommen ist, weiterhin grundsätzlich nicht auszuschließen, dass bei einer ordnungsgemäßen Sozialauswahl im Rahmen des dem Arbeitgeber zustehenden Beurteilungsspielraums der betroffene Arbeitnehmer nicht zur Sozialauswahl angestanden hätte.[335] Die Unsicherheit über den bei fehlerfreier Auswahl gekündigten Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber als deren Auslöser zu vertreten. Er ist nicht berechtigt, sein Ermessen nach Kündigungsausspruch noch einmal auszuüben.[336] Die Einschätzung, die Dominotheorie sei somit insgesamt abgeschafft, ist daher zu weitreichend.

[334] Vgl. HaKo/Mestwerdt/Zimmermann, § 1 Teil F KSchG Rn 878.
[335] KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn 711; HK-ArbR/Schubert, § 1 KSchG Rn 515.
[336] LAG Hamm v. 21.1.2009 – 2 Sa 1351/08, NZA-RR 2009, 587; KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn 711.

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