Rz. 236

Rechtsfolge des Interessenausgleichs mit Namensliste ist weiterhin, dass die soziale Auswahl der im Interessenausgleich benannten Arbeitnehmer abgesehen von Diskriminierungstatbeständen gemäß § 1 Abs. 5 S. 5 KSchG nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann.

 

Rz. 237

Grob fehlerhaft ist die Sozialauswahl, wenn eine evidente, ins Auge springende erhebliche Abweichung von den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG vorliegt und der Interessenausgleich jede soziale Ausgewogenheit vermissen lässt.[438] Von einer groben Fehlerhaftigkeit ist auszugehen, wenn die die getroffene Auswahl bezogen auf den betroffenen klagenden Arbeitnehmer im Ergebnis grob fehlerhaft ist. Ist nur das gewählte Auswahlverfahren als solches zu beanstanden, aber die Auswahl des zu gekündigten Arbeitnehmers im Ergebnis nicht evident unausgewogen, so ist nicht von einer grob fehlerhaften Sozialauswahl auszugehen.[439]

 

Rz. 238

Die Feststellung der groben Fehlerhaftigkeit setzt somit voraus, dass ein bestimmter Arbeitnehmer, der mit dem gekündigten Arbeitnehmer vergleichbar ist, evident weniger schutzbedürftig ist.[440] Grobe Fehlerhaftigkeit ist bspw. gegeben, wenn Ehegattenunterhalt bei der Sozialauswahl gänzlich außer Betracht bleibt.[441] Es spricht viel für grobe Fehlerhaftigkeit, wenn auf das Kriterium der Schwerbehinderung verzichtet wird[442] oder die Unterhaltsplichten nicht oder nur unzureichend anhand der Lohnsteuerkarte in die Bewertung einfließen.[443] Eine altersgruppenbezogene Sozialauswahl führt zu einem – groben – Auswahlfehler in Bezug auf den klagenden Arbeitnehmer, wenn ihre Voraussetzungen nicht vorliegen und innerhalb der dann insgesamt zu betrachtenden Vergleichsgruppe ein in dem erforderlichen Maß weniger schutzbedürftiger Arbeitnehmer verschont bleibt.[444]

 

Rz. 239

 

Hinweis zur Darlegungs- und Beweislast soziale Auswahl

§ 1 Abs. 5 S. 2 KSchG enthält – anders als S. 1 – keine Vermutung und damit auch keine Beweislastumkehr, so dass, wie bei § 1 Abs. 3 S. 3 KSchG, dem Arbeitnehmer zunächst im Kündigungsschutzverfahren die Aufgabe zufällt, die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl darzulegen, sofern er über die erforderlichen Informationen über die Auswahl verfügt.[445]

Daher gilt sowohl bei § 1 Abs. 3 S. 3 KSchG und bei § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG:

Der Arbeitnehmer muss auf der ersten Stufe seiner Darlegungslast vortragen, welche Arbeitnehmer mit ihm vergleichbar sind, aber vom Arbeitgeber nicht in die Sozialauswahl einbezogen wurden.

Trägt der Arbeitgeber daraufhin vor, dass die benannten Arbeitnehmer andere Aufgaben als der Kläger ausgeführt haben, ist es am klagenden Arbeitnehmer, Tatsachen aufzuführen, dass dennoch eine Austauschbarkeit besteht.[446]

Verfügt der Arbeitnehmer nicht über die erforderlichen Informationen über die Auswahl, so hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber zunächst – vor der obigen Abstufung der Darlegungslast – aufzufordern, Auskunft über die Gründe zu erteilen, die ihn zur Auswahl veranlasst haben. Der Arbeitgeber hat als Folge seiner materiellen Auskunftspflicht gem. § 1 Abs. 3 S. 1 2. Hs. KSchG auch im Prozess substantiiert vorzutragen.[447] Seine Vortragslast ist auf die tatsächlich angestellten Auswahlüberlegungen beschränkt.[448]

Gibt der Arbeitgeber keine oder keine vollständige Auskunft, dann ist die soziale Auswahl – wie bei § 1 Abs. 3 KSchG ohne qualifizierten Interessenausgleich – unstreitig nicht ordnungsgemäß.[449]

Ist die Auskunftspflicht des Arbeitgebers erfüllt, hat der Arbeitnehmer die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl (bei § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG die grobe Fehlerhaftigkeit) hinsichtlich des auswahlrelevanten Personenkreises (Betrieb, Vergleichbarkeit) und der sozialen Auswahlgesichtspunkte und nach dem BAG auch hinsichtlich der Herausnahme einzelner aus der Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG vorzutragen und zu beweisen.

[439] HWK/Quecke, § 1 KSchG Rn 430; HaKo/Mestwerdt/Zimmermann, § 1 Teil F Rn 908.
[441] BAG v. 28.6.2012 – 6 AZR 682/10, NZA 2012, 1090, in der Insolvenz nicht grob fehlerhaft; BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, NZA 2012, 1044, offengelassen, vgl. auch HWK/Quecke, § 1 KSchG Rn 430; HaKo/Mestwerdt/Zimmermann, § 1 Teil F KSchG Rn 908.
[446] HaKo/Mestwerdt/Zimmermann, § 1 Teil F KSchG Rn 913.
[449] BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 516/11, NZA 2013, 559; HaKo/Mestwerdt/Zimmermann, § 1 Teil F KSchG Rn 913, 921f.

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