Rz. 203

Auch bei dem Kriterium der Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur ist zunächst eine soziale Reihung unter den vergleichbaren Arbeitnehmern vorzunehmen, die dann auch maßgeblich ist, wenn für die Nichteinbeziehung nach Abs. 3 S. 1 aus mehreren Arbeitnehmern eine Auswahl zu treffen ist.[365]

Diese Einschränkung der Sozialauswahl hat das Ziel einer Überalterung in der Belegschaft des Betriebs vorzubeugen, die sich durch den erhöhten Schutz der älteren Arbeitnehmer in der Sozialauswahl automatisch einstellt.

Unter Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur ist die Aufrechterhaltung der bisherigen Personalstruktur, nicht die Schaffung einer solchen zu verstehen.[366] In der Insolvenz ist dies abweichend gemäß § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO jedoch möglich.

Außerhalb eines Insolvenzverfahrens wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit gegeben, die bisherige – ausgewogene – Personalstruktur zu erhalten. Dies setzt voraus, dass es bereits eine solche ausgewogene Personalstruktur gibt.[367] Nach anderer Ansicht, die jedoch dem Wortlaut der Vorschrift widerspricht, soll es dem Arbeitgeber hiernach auch ermöglicht werden, eine bisherige unausgewogene Personalstruktur nicht weiter zu verschlechtern.[368]

Welche Strukturelemente unter Personalstruktur verstanden werden können, ist umstritten und höchstrichterlich nicht entschieden.[369] So wird z.T. in der Literatur nicht nur auf die Altersstruktur, die allgemein als Strukturelement anerkannt wird, sondern auch auf die Merkmale Geschlecht, Qualifikation und Ausbildung abgestellt.[370]

 

Rz. 204

Weitergehend wird auch z.T. angenommen, dass die Kriterien Leistungsstärke, krankheitsbedingte Fehlzeiten und Geschlecht – auch in Kombination untereinander – als Strukturelement nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG herangezogen werden, um Arbeitnehmer, die nach der Sozialauswahl zu kündigen gewesen wären, anstelle eines nach der Sozialwahl unkündbaren Arbeitnehmer im Betrieb zu belassen.[371] Kriterien wie Gewerkschaftsmitgliedschaft, Schwerbehinderung und Staatsangehörigkeit können wegen der geltenden Diskriminierungsverbote gemäß Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG bzw. aus dem AGG oder unionsrechtlicher Vorgaben folgenden Diskriminierungsverboten keine Berücksichtigung finden,[372] wenn nicht ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegeben ist.[373] ­Allenfalls können neben dem Alter, das Geschlecht oder die fachliche Qualifikation als Strukturelement des Personals in Betracht kommen, da hier ein besonderer betrieblicher Bedarf in einigen Branchen vorstellbar ist.[374] Kriterien, wie Leistungsstärke oder Fehlzeiten, sollen nach § 1 Abs. 1 KSchG ausschließlich als Kündigungsgrund direkt gegenüber dem weniger leistungsstarken oder häufiger kranken Arbeitnehmer ins Feld geführt werden, jedoch nicht sozusagen durch die Hintertür bei der Sozialauswahl, quasi als Umgehung des Kündigungsschutzes, durchgreifen können.[375]

 

Rz. 205

Der Hauptanwendungsfall der Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur ist die Gestaltung einer von der Sozialauswahl abweichenden Altersgruppenbildung zum Erhalt der ausgewogenen Altersstruktur.

Nach dem BAG ist eine Altersgruppenbildung keine unzulässige Altersdiskriminierung und verstoße nicht gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung und dessen Ausgestaltung durch die Richtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2000.[376] Die Berücksichtigung des Lebensalters führe zwar in der Tendenz zu einer Bevorzugung älterer und damit zugleich zu einer Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer. Durch die von § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG im Interesse der Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur ermöglichte Bildung von Altersgruppen werde aber die andernfalls linear ansteigende Gewichtung des Lebensalters unterbrochen und zugunsten jüngerer Arbeitnehmer relativiert. Die Altersgruppenbildung diene nicht nur der Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur im Betrieb, sondern beteilige alle Lebensalter an den notwendigen Kündigungen und mildere im Interesse der Generationengerechtigkeit die § 1 Abs. 3 KSchG angelegte Bevorzugung der älteren Arbeitnehmer.[377]

 

Rz. 206

Als Altersgruppen wie folgt sind vom BAG bis jetzt anerkannt worden:

In Zehn-Jahres-Schritten[378]

bis 20, bis 30, bis 40, bis 50 Jahre
bis 57 und ab 57 Jahre
bis 25, bis 35, bis 45, bis 55, älter als 55 Jahre
in Fünfjahreschritten ab dem 31. Lebensjahr.[379]

Der Zuschnitt der Altersgruppen darf nicht willkürlich sein, wie z.B. bei unsystematischen Altersgruppen mit wechselnden und willkürlichen Zeitabständen.[380]

Innerhalb der einzelnen Altersgruppen ist dann die Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG mit jeweils gleichem Prozentanteil durchzuführen.[381]

 

Rz. 207

Den Arbeitgeber muss durch schlüssigen Sachvortrag im Einzelnen darlegen, welche konkreten Nachteile sich für den Betrieb ergeben würden, wenn allein nach den Kriterien der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG vorgegangen werden würde.[382] Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen einer Altersgruppenbi...

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