Rz. 273

Der Anwendungsbereich des § 102 Abs. 5 BetrVG bezieht sich auf die ordentliche Kündigung.

Bei einer außerordentlichen Kündigung wird die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nicht als zumutbar betrachtet.[489] Daraus wird nach wohl h.M. geschlossen, dass der Weiterbeschäftigungsanspruch bei einer außerordentlichen, hilfsweisen ordentlichen Kündigung nicht zur Anwendung kommen soll.[490] Nur bei offensichtlich unwirksamer außerordentlicher Kündigung soll der Anspruch dennoch bestehen können.[491]

Nach anderer zutreffender Ansicht besteht der Weiterbeschäftigungsanspruch auch bei einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlich erklärten Kündigung, da die angegriffene ordentliche Kündigung eine Kündigung mit vorläufiger Beschäftigungsgarantie ist, die nicht deshalb entfallen kann, weil der Arbeitgeber auch außerordentlich kündigt.[492]

Bei einer erneuten ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers endet der rechtswirksam geltend gemachte Weiterbeschäftigungsanspruch, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat zu der erneuten Kündigung ordnungsgemäß angehört und dieser der Kündigung, die auf einem neuen Sachverhalt beruht, nicht wirksam widersprochen hat.[493] Gleiches gilt für eine erneute, auf einem neuen Sachverhalt beruhende außerordentliche Kündigung.[494]

 

Rz. 274

 

Hinweis

Der Arbeitnehmervertreter hat sorgfältig darauf zu achten, ob diese Kündigung (Ketten- oder Kaskadenkündigung) nicht missbräuchlich erfolgt ist, um sich des weiterbeschäftigten Arbeitnehmers zu erledigen.[495]

 

Rz. 275

Nach einhelliger Meinung besteht für den Arbeitnehmer ein Weiterbeschäftigungsanspruch, der ordentlich unkündbar ist (aufgrund Tarifvertrag, BV oder Einzelvertrag) und dem aus diesem Grund nur außerordentlich mit einer sozialen Auslauffrist, die der ordentlichen Kündigungsfrist entspricht, gekündigt wird.[496]

 

Rz. 276

Bei einer Änderungskündigung kommt der Weiterbeschäftigungsanspruch unter bestimmten Umständen in Betracht:

Nimmt der Arbeitnehmer das Angebot der geänderten Arbeitsbedingungen ohne Vorbehalt an, so hat er nach diesen Bedingungen nach Ablauf der Kündigungsfrist zu arbeiten. Für einen Weiterbeschäftigungsanspruch zu den bisherigen Bedingungen bleibt insoweit kein Raum.[497]

Lehnt der Arbeitnehmer die geänderten Arbeitsbedingungen ab, so besteht der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch.[498] Bei einer Auseinandersetzung über die Wirksamkeit der erklärten Annahme gilt dasselbe.[499]

Bei einer Annahme des Änderungsangebots unter dem Vorbehalt der Prüfung sozialen Rechtfertigung wird im Hinblick auf das Bestehen des Weiterbeschäftigungsanspruchs zum Teil die Ansicht vertreten, dass dieser in keinem Fall bestehen kann, da § 102 Abs. 5 BetrVG ausschließlich Bezug nehme auf eine Klage gemäß § 4 S. 1 KSchG und nicht auf § 4 S. 2 KSchG. Außerdem sei das Schutzbedürfnis nicht gleichermaßen ausgeprägt.[500]

 

Rz. 277

In der Literatur wird auch dahingehend differenziert, ob das Änderungsangebot mit einer Versetzung oder Umgruppierung einhergeht.[501] Ist dies nicht der Fall, ist ein Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG nicht realisierbar, da der Klageantrag in diesem Fall nicht dahingehend lautet, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst wird. Der Arbeitnehmer muss zu den geänderten Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Ende des Rechtsstreits arbeiten.

Ist aber mit der Änderungskündigung auch eine Versetzung oder Umgruppierung verbunden und der Betriebsrat hat dazu nicht seine Zustimmung erteilt und diese ist nicht ersetzt oder darf die Maßnahme vorläufig aus dringenden sachlichen Gründen nicht durchgeführt werden, kann der Arbeitnehmer verlangen, dass er nach den bisherigen Arbeitsbedingungen beschäftigt wird. Rechtsgrundlage dafür ist allerdings §§ 99, 100 BetrVG, nicht § 102 Abs. 5 BetrVG.[502]

 

Rz. 278

Zutreffend wird teilweise vertreten, dass der Arbeitnehmer auch bei der vorbehaltlichen Annahme der geänderten Arbeitsbedingungen einen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend machen kann, da auch hier ein Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers besteht.[503] Durch die Nichtbeschäftigung am alten Arbeitsplatz werden vollendete Tatsachen geschaffen, die durch den Weiterbeschäftigungsanspruch verhindert werden sollen.[504]

[489] KR/Rinck, § 102 BetrVG Rn 261.
[490] LAG Hamm v.18.5.1982 – 11 Sa 311/82, DB 1982, 1679; KR/Rinck, § 102 BetrVG Rn 261; HaKo/Nägele, § 102 BetrVG Rn 197; APS/Koch, § 102 Rn 186; ErfK/Kania, § 102 BetrVG Rn 32.
[491] KR/Rinck, § 102 BetrVG Rn 261.
[492] Fitting u.a., § 102 Rn 104; DKKW/Bachner, § 102 Rn 278.
[493] HK-ArbR/Braasch, § 102 BetrVG Rn 54.
[494] GK-BetrVG/Raab, § 102 Rn 198.
[495] DKKW/Bachner § 102 BetrVG Rn 272.
[496] BAG v. 5.2.1998, NZA 1998, 771 ErfK/Kania, § 102 BetrVG Rn 32.
[497] KR/Rinck, § 102 BetrVG Rn 263.
[498] HaKo/Nägele, § 102 BetrVG Rn 198.
[499] KR/Rinck, § 102 BetrVG Rn 267; HaKo/Nägele, § 102 BetrVG Rn 198.
[500] HaKo/Nägele, § 102 BetrVG Rn 198 m.w.N.
[501] KR/Rinck, § 102 BetrVG Rn 264 ff.
[502] KR/Rinck, § 102 BetrVG Rn 266; vgl. auch DKKW/B...

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