Rz. 233

Die in der Praxis wichtigste Einschränkung der freien Rechtswahl findet sich in Art. 9 VO (EG) 593/08. Unabhängig von der nach Art. 3 und Art. 8 VO (EG) 593/08 anwendbaren Rechtsordnung finden die deutschen Rechtsvorschriften, die den Sachverhalt zwingend regeln, Anwendung (sog. Eingriffsnormen). Diese Vorschriften sind auf alle in der BRD beschäftigten Arbeitnehmer anzuwenden, unabhängig von der i.Ü. auf den Arbeitsvertrag anwendbaren Rechtsordnung und können auch durch eine Rechtswahl nicht ausgeschaltet werden. Die Frage, welche Vorschriften international zwingend sind, bereiten in den meisten Fällen erhebliche Probleme. Gesetzlich ist nicht näher geregelt, welche Normen Eingriffsnormen darstellen. Einigkeit besteht insoweit, dass nicht alle nach deutschem Recht unabdingbaren Normen auch zwingende Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9 VO (EG) 593/08 sind. Als Eingriffsnormen sind vielmehr nur diejenigen anzusehen, die nach ihrem Zweck überwiegend dem Interesse des Allgemeinwohls (staats- und wirtschaftspolitische Interessen, Kollektivbelange, Staatswohl) dienen und nicht nur den Ausgleich widerstreitender Interessen der Vertragsparteien bezwecken und damit Individualbelangen dienen.[6]

[6] BAG, AP Internationales Privatrecht-Arbeitsrecht Nr. 30.

a) Arbeitnehmerentsendegesetz

 

Rz. 234

Das AEntG sieht für bestimmte Branchen (Abfallwirtschaft, Briefdienstleistungen, Sicherheitsleistungen, Bergbauspezialarbeiten, Wäschereidienstleistungen, Pflegebranche sowie Baugewerbe, Dachdeckerhandwerk, Gebäudereinigerhandwerk, Maler und Lackiererhandwerk) zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen vor. Die zwingenden Arbeitsbedingungen müssen hierzu in einem allgemein verbindlichen oder durch Rechtsverordnung dazu erklärten Tarifvertrag festgelegt worden sein.

Die Mindestbedingungen des deutschen Rechts hinsichtlich der Regelungsgebiete des § 2 Nr. 1 bis 7 AEntG finden auch bei einem Arbeitsverhältnis, das einer ausländischen Rechtsordnung unterliegt, zwingend Anwendung. Sie wirken aufgrund des § 2 AEntG wie Eingriffsnormen.[7] Ob es sich bei allen aufgeführten Regelungsgebieten immer auch um Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9 VO (EG) 593/08 handelt, ist daher für die Praxis unerheblich und eher von akademischen Interesse.[8]

Das AEntG ist die deutsche Umsetzung der europäischen Richtlinie 96/71/EG (sog. Entsende-Richtlinie) v. 16.12.1996.[9] Die vollständige Umsetzung erfolgte erst durch Einführung des § 7 AEntG i.R.d. Korrekturgesetzes v. 19.12.1998.[10] Zum 1.7.2007 wurde der sachliche Anwendungsbereich des AEntG um weitere Branchen erweitert. Durch die am 24.4.2009 in Kraft getretene Neufassung des AEntG wurde das zuvor mehrfach geänderte Gesetz wieder übersichtlicher gestaltet. Außerdem gibt es ein paar Änderungen. Neu ist, dass sich künftig erst einmal ein Tarifausschuss mit einem Antrag von einer Branche befassen muss, die die Aufnahme in das Gesetz zur Etablierung verbindlicher Mindestlöhne in dieser Branche anstrebt (§ 7 Abs. 5 AEntG).

 

Rz. 235

Nunmehr findet sich in § 4 AEntG ein Katalog von insgesamt neun Sachgebieten, die alle Arbeitsverhältnisse zwischen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinem in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer betreffen. Ferner befinden sich in Abschnitt 4 des AEntG Regelungen über die Anwendbarkeit auf die Pflegebranche. Die Notwendigkeit der besonderen Behandlung der Pflegebranche ergibt sich aus der Vielzahl kirchlicher Arbeitgeber in diesem Sektor. Diese wollen sich keinem Tarifvertrag unterwerfen, um ihr Selbstbestimmungsrecht zu schützen und haben daher eigene Regelungen geschaffen. Das Gesetz wird dem durch eine sog. Kommissionslösung gerecht (§ 12 AEntG). Weitere Voraussetzungen, wie bspw. eine Entsendung nach Deutschland, sind nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht erforderlich. Nicht erfasst sind hingegen die Fälle, in denen sich auch der Arbeitgeber in Deutschland befindet.

Auf alle Arbeitsverhältnisse der betreffenden Branchen zwischen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinem im Inland beschäftigten Arbeitnehmer finden die Rechts- oder Verwaltungsvorschriften der Regelungsbereiche des § 2 Nr. 1 bis 7 AEntG Anwendung.

[8] Däubler, RIW 2000, 255, 257.
[9] BGBl I 1998, S. 3843.
[10] BGBl I 1998, S. 3843.

aa) Arbeitszeit

 

Rz. 236

Nach § 2 Nr. 3 AEntG gelten die Regelungen des ArbZG über Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten auch in den Fällen, in denen ein ausländisches Arbeitsvertragsstatut zur Anwendung kommt. Daher darf auch ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis ausländischem Recht unterfällt, in Deutschland werktags grds. max. nur acht Stunden arbeiten (§ 3 Satz 1 ArbZG) auch wenn die ausländische Rechtsordnung eine höhere Maximalarbeitszeit vorsieht. Eine Verlängerung auf zehn Stunden ist nur dann möglich, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit wiederum acht Stunden nicht überschreitet. Außerdem müssen auch diese Arbeitnehmer nach Beendigung der...

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