Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitnehmerentsendung; Auskunfts- und Beitragspflicht für in Deutschland beschäftigte gewerbliche Arbeitnehmer

 

Leitsatz (amtlich)

1. Durch § 1 Abs. 1 und 3 AEntG werden bestimmte, für allgemeinverbindlich erklärte tarifvertragliche Normen auf Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und ihre im räumlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrages beschäftigten Arbeitnehmer erstreckt. Aufgrund der Erstreckung gelten die entsprechenden Tarifnormen für die betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kraft Gesetzes.

2. Die kraft Gesetztes über § 1 Abs. 1 und 3 AEntG auf Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und ihre im räumlichen Geltungsbereich des entsprechenden Tarifvertrages beschäftigten Arbeitnehmer anzuwendenden tarifvertraglichen Vorschriften gelten nach Art. 34 EGBGB unabhängig davon, ob deutsches oder ausländisches Recht auf das einzelne Arbeitsverhältnis anzuwenden ist.

3. Die gesetzliche Erstreckung von Tarifnormen durch das AEntG verstößt weder gegen verfassungsrechtliche Bestimmungen noch gegen das Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten und der Republik Polen (BGBl 1993 II S 1316).

4. Aufgrund § 1 Abs. 3 S. 2 AEntG iVm § 8 Ziff. 15 des für allgemeinverbindlich erklärten Bundesrahmentarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer im Baugewerbe in der Bundesrepublik Deutschland (BRTV/Bau) besteht dem Grunde nach eine gesetzliche Verpflichtung eines baugewerblichen Unternehmens mit Sitz in Polen zur Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen und zur Erteilung entsprechender Auskünfte an die von den Tarifvertragsparteien des Baugewerbes als gemeinsame Einrichtung geschaffene Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft bezüglich der Arbeitnehmer, die von dem Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Erfüllung von Werkverträgen mit baugewerblichen Leistungen beschäftigt werden.

5. Der vorbezeichneten Beitrags- und Auskunftspflicht steht jedenfalls seit 01.01.1999 das deutsch-polnische Abkommen über die Entsendung von Arbeitnehmern polnischer Unternehmen zur Ausführung von Werkverträgen v. 30.05.1990 nicht entgegen.

6. Die Bemessung und Höhe der geschuldeten Beitragsleistung nach § 1 Abs. 3 S. 2 AEntG iVm § 8 Ziff. 15 BRTV/Bau sowie der Umfang der zu erteilenden Auskünfte richtet sich nach dem ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV). Die in den bis 31.12.1999 geltenden VTV aufgenommenen Regelungen über das Urlaubsverfahren für außerhalb Deutschland ansässige Arbeitgeber und ihre in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer (§§ 55 – 71 VTV) gelten allerdings nur insoweit, als sie mit den tariflichen Regelungen für tarifunterworfene inländische Arbeitgeber und die von ihnen beschäftigten Arbeitnehmer identisch oder gegenüber diesen Regelungen günstiger sind. Soweit die nicht der Fall ist, finden für die Zeit bis 31.12.1999 auf Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und ihre in der Bundesrepublik Deutschtand beschäftigten Arbeitnehmer unmittelbar kraft Gesetzes die Vorschriften des VTV über das Urlaubsverfahren Anwendung, die kraft Tarifrechts für „Inländer” gelten.

7. Die durch das AEntG erfolgte gesetzliche Erstreckung für allgemeinverbindlich erklärter Tarifnormen des Baugewerbes über den Urlaub auf Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und ihre in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer verstößt weder gegen Bestimmungen des BUrlG noch gegen Art. 3 GG.

 

Normenkette

AEntG § 1; EGBGB Art. 30, 34; GG Art. 9 Abs. 3, Art. 3; TVG § 5 Abs. 4; BRTV/Bau § 8; VTV/Bau v. 12.11.86 § 55ff; VTV v. 20.12.99; EA-Abkommen/Polen; ZPO § 256

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 22.09.1999; Aktenzeichen 6 Ca 178/99)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 25.06.2002; Aktenzeichen 9 AZR 405/00)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird – unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Klägerin – das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 22. September 1999 – 6 Ca 178/99 – abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob die Klägerin gegenüber dem Beklagten für die Zeit ab 01.01.1999 verpflichtet ist, bezüglich ihrer in Deutschland beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer Auskünfte zu erteilen und Beiträge zu leisten.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft polnischen Rechts mit Sitz in Warschau, die ein Bauunternehmen betreibt. Sie verlegt mit Hilfe polnischer Arbeitnehmer laufend in der Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage von Werkverträgen als Subunternehmerin auf Baustellen Baustähle zum Zwecke der Armierung. Ihre polnischen Arbeitnehmer sind zum deutschen Arbeitsmarkt zugelassen.

Der Beklagte ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Er hat nach den für allgemeinverbindlich erklärten tarifvertraglichen Regelungen des Baugewerbes insbesondere die Aufgabe, die Auszahlung der tarifvertraglich vorgesehenen Urlaubsvergü...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge