1. Typischer Sachverhalt

 

Rz. 1

Die Eheleute M und F werden für den Veranlagungszeitraum 2018 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt, §§ 26, 26b EStG. Das Finanzamt erkennt geltend gemachte Werbungskosten des M bei dessen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit i.H.v. 10.000 EUR für einen Unfallschaden am Pkw nicht an. Der Unfall habe sich zwar auf einer dienstlichen Fahrt ereignet, aber aus dem Polizeiprotokoll ergebe sich, dass M den Unfall fahrlässig verursacht habe. Die Einkommensteuer der Eheleute wird auf 20.000 EUR für 2018 festgesetzt. Nach Anrechnung der Lohnsteuer i.H.v. 18.000 EUR haben die Eheleute noch 2.000 EUR zu zahlen. Bei Berücksichtigung der geltend gemachten Werbungskosten infolge des Unfallschadens hätte sich eine Steuerfestsetzung i.H.v. 15.000 EUR und mithin eine Erstattung i.H.v. 3.000 EUR ergeben.

2. Rechtliche Grundlagen

a) Einspruchsverfahren

 

Rz. 2

Das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren ist in den Vorschriften des 7. Teils der Abgabenordnung (AO) in den §§ 347–367 geregelt. Gegen die in § 347 AO aufgeführten Verwaltungsakte ist der Einspruch bei der erlassenden Behörde, d.h. i.d.R. dem Finanzamt, der statthafte Rechtsbehelf. Die Oberfinanzdirektion ist als Aufsichtsbehörde des Finanzamtes mit dem Fall nur dann befasst, wenn der Steuerpflichtige neben dem ordentlichen Rechtsbehelf des Einspruchs im Wege der Dienst- oder der Sachaufsichtsbeschwerde vorgeht.[1] Mit der Dienstaufsichtsbeschwerde wird ein persönliches Verhalten des Finanzbeamten gerügt; die Sachaufsichtsbeschwerde greift den objektiven Inhalt einer Entscheidung an. Hiermit kann z.B. gerügt werden, dass ein Amtsträger eine Verwaltungsvorschrift (insbesondere die Steuerrichtlinien), an die er gebunden ist, nicht beachtet hat.[2]

Die Bedeutung des Einspruchsverfahrens für die Rechtswahrung des Mandanten kann man kaum überschätzen: 65,6 % der Einsprüche führen zur Änderung der Bescheide.[3]

[1] Die Oberfinanzdirektion (OFD) ist Mittelbehörde der Landesfinanzverwaltung und trägt in Bayern die Bezeichnung "Bayerisches Landesamt für Steuern", in Rheinland Pfalz "Landesamt für Steuern", in Sachsen "Landesamt für Steuern und Finanzen" und in Thüringen "Thüringer Landesfinanzdirektion".
[2] Vgl. Tipke/Kruse, vor § 347 AO Rn 29; Streck/Kamps/Olgemöller, Der Steuerstreit, Rn 375, mit dem Hinweis, die Dienstaufsichtsbeschwerde äußerst sparsam, allenfalls als "Notbremse" einzusetzen; in Rn 371 auch mit dem Hinweis, dass die Sachaufsichtsbeschwerde problematisch sein kann, da durch eine negative Entscheidung der OFD dem Finanzamt die Hände für andere vernünftige Lösungen gebunden sein können.
[3] Siehe dazu Einspruchsstatistik des BMF für das Jahr 2019, www.bundesfinanzministerium.de.

b) Zulässigkeitsvoraussetzung für Klage

 

Rz. 3

Eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ist i.d.R. nach § 44 FGO erst zulässig, nachdem das Einspruchsverfahren erfolglos abgeschlossen wurde. Ausnahmsweise ist bei Zustimmung der Finanzbehörde eine Sprungklage ohne Vorverfahren zulässig, § 45 FGO. Wegen der Eilbedürftigkeit ist eine Klage stets ohne Vorverfahren zulässig, wenn die Rechtswidrigkeit eines dinglichen Arrests geltend gemacht wird, § 45 Abs. 4 FGO. Außerdem ist eine Klage nach § 46 FGO als Untätigkeitsklage ohne Abschluss eines Vorverfahrens zulässig, wenn das Finanzamt über den Einspruch ohne Mitteilung eines Grundes in angemessener Frist nicht entschieden hat.

c) Aussetzung der Vollziehung

 

Rz. 4

Die Einlegung des Einspruchs hemmt die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes nicht. Es bedarf der Aussetzung der Vollziehung, § 361 AO. Nach dieser Vorschrift kann die Finanzbehörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, die Vollziehung von Amts wegen ganz oder teilweise aussetzen. Es empfiehlt sich aber, einen ausdrücklichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu stellen. Denn auf Antrag soll die Finanzbehörde aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, § 361 Abs. 2 S. 2 AO.[4] Bei der Frage, ob ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung sinnvoll ist, ist insbesondere das Zinsrisiko zu beachten, da ein ausgesetzter Betrag im Falle der Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs in der Hauptsache mit 0,5 %/Monat zu verzinsen ist (§§ 237 f. AO).[5]

[4] Nach der st. Rspr. des BFH ist die Behörde in solchen Fällen zur Aussetzung verpflichtet, BFH v. 4.12.1967, BStBl II 1968, 199, 201; BFH v. 10.2.1984, BStBl II 1984, 454, 457. An die nach § 69 Abs. 2 S. 2 FGO erforderliche "unbillige Härte" sind höhere Anforderungen als an die für eine Stundung gem. § 222 AO erforderliche "erhebliche Härte" zu stellen; BFH v. 9.12.1999, BFH/NV 2000, 885. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Davon wird zumindest bei inländischen Steuerpflichtigen selten Gebrauch gemacht, wenn bei diesen nicht die Insolvenz zu befürchten ist. Im Übrigen liegt ein Ermessensfehler hinsichtlich der Anordnung einer Sicherheitsleistung vor, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit der Steuerpfl...

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