Rz. 1

Das Gericht muss von Amts wegen prüfen, ob der im Bußgeldbescheid gemachte Vorwurf zutrifft und ob die im Bescheid angeordneten Rechtsfolgen erforderlich und angemessen sind. Das Gericht muss dabei jedoch nur solche Punkte im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung und Beweisaufnahme ansprechen und hinterfragen, die gesetzlich notwendig sind oder sich aufdrängen. Dies kann auch zugunsten des Betroffenen der Fall sein, z.B. im Rahmen des § 17 Abs. 3 OWiG (wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Betroffenen), bei möglichen Ausnahmen von der Anordnung des Fahrverbots oder für die Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße, § 4 Abs. 4 BKatV. Alles Weitere liegt in der Hand des Betroffenen bzw. des Verteidigers. Der Verteidiger verfügt dabei über verschiedene Hebel, um Handlungen des Gerichts zu veranlassen und zu beanstanden, insbesondere kann er Beweisanträge stellen. Diese muss das Gericht, insbesondere wenn sie zulässig und richtig formuliert sind, auch verbescheiden. Der Verteidiger muss hier also auf sein strafprozessuales Wissen zurückgreifen und z.B. darauf achten, dass er keine Negativtatsachen unter Beweis stellt, dass er nicht lediglich einen Beweisermittlungsantrag stellt oder dass das Beweismittel überhaupt geeignet ist, die behauptete Beweistatsache zu belegen.

 

Rz. 2

Der Verteidiger muss darüber hinaus darauf achten, dass sein Beweisantrag den Weg in die Protokollierung findet, um sich später im Rahmen der Rechtsbeschwerde nicht mit der negativen Beweiskraft des Protokolls auseinander setzen zu müssen. Hierzu kann man den Antrag schriftlich als Anlage zum Protokoll stellen, damit seine Existenz bei den Akten und damit in der Welt ist. Das ist für den Verteidiger aber kein Muss. Der Beweisantrag kann in der Hauptverhandlung auch mündlich gestellt werden, soweit nicht das Gericht nach § 257a StPO eine schriftliche Antragstellung angeordnet hat.[1]

 

Rz. 3

Muster 38.1: Zeugenbeweis

 

Muster 38.1: Zeugenbeweis

Ich beantrage hiermit, den Zeugen _________________________ zu laden und zu vernehmen zum Beweis der Tatsache, dass der Betroffene am Einmündungsbereich der Kreuzung bis zum Stillstand angehalten hat, sich nach rechts und links des möglicherweise vorhandenen Querverkehrs vergewissert hat und dann mit normaler Anfahrgeschwindigkeit begonnen hat, die Kreuzung _________________________-Straße/_________________________-Straße zu überqueren.

Begründung:

Ausweislich der polizeilichen Unfallaufnahme Bl. _________________________ d.A. wurde der Nachbar, der hier benannte Zeuge _________________________, zwar als Unfallbeobachter erfasst. Allerdings erfolgten weder eine Anhörung vor Ort, eine Vorladung zur Vernehmung bei der Polizei oder eine Ladung zur heutigen Hauptverhandlung. Der dem Betroffenen gemachte Vorwurf des verkehrsrechtlichen Fehlverhaltens kann jedoch durch den neutralen Zeugen _________________________ vollumfänglich widerlegt werden.

 

Rz. 4

Neben der Berücksichtigung der formellen Voraussetzungen des Beweisantragsrechts sind auch die Besonderheiten des Bußgeldrechts zu beachten: Neben den Möglichkeiten des § 244 StPO steht dem Gericht auch die pauschale Ablehnungsklausel des § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zur Verfügung. Diese erfordert zwar in der Hauptverhandlung kaum Begründungsaufwand. Die Voraussetzungen dieses Ablehnungsgrundes dürfen aber nicht unterschätzt werden: Die Norm lässt die Ablehnung des Beweisantrags nämlich nur zu, wenn das erkennende Gericht – erstens – aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme – zweitens – den Sachverhalt für so eindeutig geklärt erachtet, dass – drittens – nach pflichtgemäßem Ermessen die beantragte Beweiserhebung die eigene Beurteilung der Sachlage nicht zu ändern vermag.[2] Dass das Gericht einen Beweisantrag auch erst am Ende der Beweisaufnahme verbescheiden kann, ist möglicherweise nicht jedem Richter klar. Wenn als postwendende Reaktion auf einen Beweisantrag des Verteidigers zu Beginn der Beweisaufnahme, etwa wenn die Begutachtung einer Messung beantragt wird, dieser Antrag per Vordruck nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG abgelehnt wird, kann später möglicherweise die Verfahrensrüge darauf gestützt werden. Denn dass zu diesem Zeitpunkt tatsächlich alle drei Voraussetzungen gegeben waren, dürfte nicht immer der Fall sein, so dass dann die spätere Urteilsbegründung den Ausschlag gibt, ob der Richter den Beweisantrag fehlerhaft abgelehnt hat. Denn dort muss die Beweisantragsablehnung genauso ausführlich wie in einem Strafurteil bzw. einem ablehnenden Beschluss nach § 244 StPO ausfallen.[3]

 

Rz. 5

Hat der Verteidiger bereits vor, an der Hauptverhandlung nicht teilzunehmen, sollte man durchaus von der Möglichkeit Gebrauch machen, vor der Hauptverhandlung schriftsätzlich Beweisanträge zu stellen. Zwar sind die meisten Anträge nur als Beweisanregung zu behandeln, aber immerhin muss sich das Gericht überhaupt damit auseinandersetzen.[4]

 

Rz. 6

Des Weiteren sollte der Verteidiger die Norm des § 77a OWiG im Hinterkopf haben, wenn in der Beweisaufnahme der Zeugenbew...

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