Rz. 135

§ 104 Abs. 1 SGB VII befreit unter den dort genannten Voraussetzungen den "Unternehmer" von der Haftung. Für das Verständnis dieses Begriffs hat der Gesetzgeber auf das Schutzsystem der Unfallversicherung und damit auf die in § 136 Abs. 3 SGB VII verwandte Begriffsbestimmung abgestellt.

 

Rz. 136

Hiernach ist Unternehmer derjenige, dem das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht (§ 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII), wobei unter "Unternehmen" ein Betrieb, eine Einrichtung oder bloß eine Tätigkeit zu verstehen ist.[139]

 

Rz. 137

Für die Unternehmereigenschaft im Sinne von § 104 Abs. 1 SGB VII ist die Rechtsform, in der ein Unternehmen betrieben wird, zwar von ausschlaggebender Bedeutung.[140] Allerdings kommt es nicht auf die Rechtsbeziehungen an, auf die der Unternehmer seine Aktivitäten stützt. Maßgebend sind allein die tatsächlichen Verhältnisse, für wessen Rechnung also wirtschaftlich das Unternehmen betrieben wird. Für die Haftungsablösung ist es deshalb ohne Belang, ob der Unternehmer durch betriebliche Verträge usw. ausgewiesen wird oder ob er durch den Betrieb seines Unternehmens gegen öffentlich-rechtliche Verbote verstößt.[141]

 

Rz. 138

So ist z.B. bei nichtigem Jagdpachtvertrag der unbefugte Unterpächter Unternehmer im Sinne des § 104 Abs. 1 SGB VII, wenn er faktisch die Rechte und Pflichten wie ein nach privatem und öffentlichem Recht befugter Pächter ausübt.[142] Auch ein privater Eigenbauherr ist gegenüber einer Person, die im Wege der Nachbarschaftshilfe unentgeltlich mitarbeitet und daher bei einem Unfall wie ein Arbeitnehmer nach der RVO versichert ist, Unternehmer im Sinne der Vorschrift, und zwar auch dann, wenn der Eigenbauherr nicht zur Aufbringung von Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung herangezogen werden kann.[143] Allerdings ist der Eigentümer einer Waldfläche in einem Naturschutzgebiet nicht als forstwirtschaftlicher Unternehmer zur Zahlung von Beiträgen an die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft verpflichtet, wenn ihm nach Landesrecht jede forstwirtschaftliche Tätigkeit im Eigeninteresse verboten ist.[144]

 

Rz. 139

§ 104 SGB VII findet Anwendung, wenn Beschäftigungsbetrieb und Unfallbetrieb zwar selbstständige organisatorische Einheiten sind, die sich aber in einer Hand befinden, aufseiten des Unternehmers mithin Personenidentität vorliegt. Wird z.B. ein Bundeswehrangehöriger auf einer Bahnfahrt verletzt, so gilt das Haftungsprivileg, weil sich der Beschäftigungsbetrieb (Bundeswehr) und der Unfallbetrieb (Deutsche Bahn) in einer Hand befinden. Die "Bundesrepublik Deutschland" ist nämlich der einheitliche Unternehmer beider Betriebe.[145]

 

Rz. 140

Die nach den wirtschaftlichen Gegebenheiten zu erfolgende "Unternehmerfeststellung" wird unterbrochen, soweit bestimmte Personen und Einrichtungen als Unternehmer angesehen werden, wie dies in § 136 Abs. 3 Nr. 2Nr. 4 SGB VII der Fall ist. Dazu zählen der Rehabilitationsträger für die in § 2 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 15 SGB VII genannten Versicherten, der Sachkostenträger bei Versicherten im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 8 SGB VII sowie der Reeder beim Betrieb eines Seeschiffs.

 

Rz. 141

Bei juristischen Personen und bei Kapitalgesellschaften (z.B. AG, GmbH) sind diese selbst, nicht dagegen die jeweiligen Organe, Unternehmer. Dagegen sind bei Personengesellschaften (z.B. GbR, OHG, KG) die persönlich haftenden Gesellschafter, d.h. auch die Komplementäre der KG Unternehmer im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Dass rechtsfähige Personenvereinigungen und -gemeinschaften Unternehmer im unfallversicherungsrechtlichen Sinne sein können, hat der Gesetzgeber in der ab 17.11.2016 geltenden Neufassung des § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII klargestellt. Danach ist Unternehmer die natürliche oder juristische Person oder rechtsfähige Personenvereinigung oder -gemeinschaft, der das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht.[146]

 

Rz. 142

Der Landeswohlfahrtsverband und ein Kindergartenträger, über den er die Heimaufsicht führt, sind als einheitliche Unternehmer anzusehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Heimaufsicht an Ort und Stelle, in dem "Unternehmen" selbst, Aufsichtsaufgaben wahrnimmt, die den für ein Unternehmen Verantwortlichen treffen. Dies ist der Fall, wenn es zum Aufgabenbereich der Aufsichtsbehörde und des Kindergartenträgers gehört, Einrichtungsgegenstände daraufhin zu untersuchen, ob von ihnen, auch unter Berücksichtigung kindlicher Verhaltensweisen, Gefahren für die Kindergartenbesucher ausgehen.[147]

[141] Nachweise aus der Rechtsprechung: BGH, VersR 1977, 968, 969 m.w.N.; BGH, VersR 1988, 1276 = NJW-RR 1989, 23; BSGE 14, 142, ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge