Rz. 206

Zwischen den Begriffen "Betrieb" und "Unternehmen" besteht ein Unterschied.

Der Begriff des Betriebs ist enger als der des Unternehmens. Es kommt mithin nicht auf die Identität des Unternehmens, sondern vielmehr auf die des Betriebes an.

 

Rz. 207

Nach der früher nahezu einhelligen Auffassung war bei der rechtlichen Beurteilung des Merkmals "Betrieb" auf den arbeitsrechtlichen Betriebsbegriff abzustellen.[236] Danach ist als Betrieb die organisatorische Einheit anzusehen, innerhalb derer der Unternehmer allein oder zusammen mit seinen Mitarbeitern bestimmte arbeitstechnische Zwecke mithilfe sächlicher oder immaterieller Mittel fortgesetzt verfolgt.[237]

 

Rz. 208

Demgegenüber hat das Bundesarbeitsgericht in Bezug auf die rechtliche Differenzierung zwischen Betrieb und Unternehmen eine völlig entgegengesetzte Auffassung vertreten:[238] Die Begriffe "Betrieb" und "Unternehmen" (i.S.d. §§ 636, 637 RVO a.F.) seien unfallversicherungsrechtlich deckungsgleich. Danach soll unter einem "Betrieb" nicht nur ein räumlich-organisatorisch gesonderter Unternehmensteil, sondern vielmehr das gesamte Unternehmen im Sinne der Gesetzlichen Unfallversicherung zu verstehen sein.

 

Rz. 209

Wegen der in § 105 Abs. 1 SGB VII getroffenen Neuregelung, die bereits nach ihrem Wortlaut unzweideutig auf das Wort "Betrieb" abstellt, ist dieser Auffassung eine klare Absage zu erteilen. Dies ergibt sich auch bei Heranziehung des Gesetzgebungsverfahrens: Im Referentenentwurf war zunächst beabsichtigt, auf das Unternehmen abzustellen. Die wurde im Gesetzgebungsverfahren aufgegeben und in § 105 SGB VII wieder auf den Begriff des Betriebs abgestellt. Der Haftungsausschluss kommt mithin nur zum Tragen, wenn Schädiger und Geschädigter im Unfallzeitpunkt in demselben Betrieb tätig sind.[239]

 

Rz. 210

Damit ist die zu § 637 RVO insoweit ergangene Rechtsprechung auch weiterhin von Bedeutung: Der für die gesetzliche Regelung bedeutsame Gesichtspunkt des Arbeitsfriedens zwingt dazu, den Begriff des Betriebs auf eine räumliche Einheit einzuschränken.[240] Die Mitarbeiter müssen in räumlicher oder persönlicher Verbindung zusammenarbeiten.

 

Rz. 211

Der Anspruch eines städtischen Bediensteten gegen den Beschäftigten eines anderen städtischen Betriebs unterliegt daher nicht der Haftungsbeschränkung.[241] Ebenso wenig ist sie zwischen Beschäftigten örtlich getrennter Betriebsteile des gleichen Unternehmens anzunehmen. Etwas anderes kann für Hilfs- und Nebenbetriebe gelten, deren Arbeitnehmer in räumlicher Verbindung auf einer Arbeitsstelle gemeinsam tätig sind; hier ist die persönliche und räumliche Verbindung vorhanden.

 

Rz. 212

Abgrenzungsprobleme können sich ergeben, wenn z.B. Arbeitnehmer eines Konzernunternehmens vorübergehend in ein anderes Konzernunternehmen abgeordnet werden und es dort zu einem Arbeitsunfall kommt.[242] Fahrer eines Krankenwagens und mitfahrende Rot-Kreuz-Helferin sind in demselben Betrieb tätig.[243] Dagegen sind Angehörige der DLRG und der Feuerwehr nicht im gleichen Betrieb tätig, auch nicht bei einer gemeinsamen Einsatzübung.[244]

 

Rz. 213

Die Haftungsbeschränkung des § 105 Abs. 1 SGB VII greift folglich nicht ein, wenn der Schädiger zwar in demselben Unternehmen (Konzern) wie der Geschädigte, nicht aber auch in derselben organisatorischen Einheit (Betrieb) tätig ist.

[236] BGH, NJW 1958, 182; BGH, NJW 1988, 493; OLG Saarbrücken, VersR 1983, 263, 264.
[237] BAG, AP KSchG 1969 § 23 Nr. 9 m.w.N.; BAG, AP BetrAVG § 1 Betriebsveräußerung Nr. 16; BAG, AP BetrVG 1972 § 8 Nr. 6; st. Rspr.
[238] BAG, AP RVO § 637 Nr. 22 = NZA 1993, 451; dazu Hanau, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Haftung im Arbeitsverhältnis, FS Steffen, 1995, 177.
[239] Vgl. auch Rolfs, NJW 1996, 3177, 3180; Maschmann, SGb 1998, 54, 59.
[240] BGH, NJW 1977, 296; BGH, VersR 1988, 167; OLG Celle, VersR 1969, 1019.
[241] Z.B. OLG Saarbrücken, VersR 1982, 263; OLG Frankfurt, VersR 1986, 1028 und Revisionsentscheidung hierzu BGH, VRS 72, 173.
[242] BGH, VersR 1975, 1002.
[243] BGH, VersR 1966, 355; vgl. auch BGH, VersR 1976, 473.
[244] OLG Karlsruhe, VersR 1987, 110.

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