Rz. 86

Seit der bahnbrechenden Entscheidung des BGH,[49] in der ausgeführt worden ist, dass ein Rechtsanwalt, der einen Arbeitsgerichtsprozess für einen Mandanten führt, nur dann die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet, wenn er sämtliche in der Entscheidungssammlung des BAG abgedruckten Urteile berücksichtigt, leben Anwälte gerade im Kündigungsschutzrecht unter dem ständigen Damoklesschwert der Haftung.

 

Rz. 87

Voraussetzungen für eine vertragliche Haftung des Rechtsanwalts sind:

Bestehen eines Anwaltsvertrags;
Pflichtverletzung dieses Vertrags durch Tun oder Unterlassen;
ein pflichtwidriges Verhalten des Rechtsanwalts bei der Mandatserledigung und damit Rechtswidrigkeit dieser pflichtwidrigen Handlung/Unterlassung;
Verschulden des Rechtsanwalts;
Kausalität zwischen der schuldhaft rechtswidrigen Pflichtverletzung des Anwalts und dem Schaden des Auftraggebers;
Schaden des Mandanten.[50]

Im Wesentlichen lassen sich neben der unspezifischen Haftung bei Organisationsfehlern drei Felder der spezifisch kündigungsschutzrechtlich ausgeprägten Haftungstatbestände unterscheiden:

[50] Vollkommer/Greger/Heinemann, S. 2 Rn 3.

I. Verspätetes Handeln

 

Rz. 88

Im Kündigungsschutzprozess ist es manchmal erforderlich, ohne jedes schuldhafte Zögern aktiv zu werden, namentlich im Falle der fehlenden Originalvollmacht einer nicht vom Organvertreter oder Personalchef erklärten Kündigung. Haftungsgefahren drohen beim zu späten Zurückweisen oder im fehlerhaften Zurückweisen. Bereits zuvor, nämlich dann, wenn der Anwalt die Kündigung im Namen seines Mandanten ausspricht, ohne die Bevollmächtigung durch Vorlage einer Originalvollmacht nachzuweisen, droht der Regress.[51]

 

Rz. 89

 

Praxishinweis

Der Anwalt, der eine solche Kündigung zurückweist, muss beachten, dass er dies unverzüglich und unter Vorlage einer Originalvollmacht tun muss, sonst kann auch er in die Haftung laufen.

[51] BGH v. 10.2.1994, AnwBl 1995, 44.

II. Unterbliebene Aufklärung/unterbliebene oder fehlerhafte Beratung

 

Rz. 90

Unterbleibt etwa der Hinweis an den vertretenen Arbeitnehmer, dass jedes Kündigungsschreiben dem Anwalt zur Kenntnis gebracht werden muss, auch wenn bereits eine Kündigungsschutzklage anhängig ist, so kann dies zur Haftung führen, insbesondere wenn kein allgemeiner Feststellungsantrag gestellt wird. Der BGH[52] bejaht eine Haftung dem Grunde nach, wenn ein Rechtsanwalt eine Kündigungsschutzklage nur gegen eine ihm bekannte Kündigung erhebt, obwohl er Anhaltspunkte dafür hat, dass dem Mandanten möglicherweise bereits zuvor gekündigt worden ist. Der im Arbeitsrecht herrschende punktuelle Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage, mit der man nur die Wirksamkeit einer einzelnen Kündigung feststellen lässt, führt mitunter zur Stellung eines weiteren allgemeinen Feststellungsantrags (sog. Schleppnetzantrag[53]). Damit lässt sich sicherstellen, dass auch weitere Kündigungserklärungen rechtzeitig angegriffen werden. Sobald der beklagte Arbeitgeber im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erklärt, es gäbe keine weiteren (noch auszusprechenden) Kündigungen, kann der Antrag zurückgenommen werden. Dies ist sinnvoll, da andernfalls der Schleppnetzantrag mangels Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig abzuweisen ist. Bis zu diesem Zeitpunkt wird dem Schleppnetzantrag kein eigener Streitwert beigemessen. Dies ändert sich jedoch, sobald den Arbeitnehmer weitere Kündigungen erreichen.[54]

 

Rz. 91

Zum Bereich der Aufklärungspflichten gehört auch die Verpflichtung, durch ergänzende Fragestellung alle, vom Mandanten bislang nicht vorgetragenen Einzelheiten zu klären, auf die es für die rechtliche Beurteilung ankommen kann.[55] Grundlegend in diesem Kontext ist die Entscheidung des BGH vom 21.11.1960:[56] "Die Pflicht des Rechtsanwalts zu vollständiger Beratung setzt voraus, dass er zunächst durch Befragen seines Auftraggebers die Punkte klärt, auf die es für die rechtliche Beurteilung ankommen kann, und dabei auch die in der Sache liegenden Zweifel, die er als Rechtskundiger erkennen kann und muss, während sie auch einem geschäftsgewandten Rechtsunkundigen verborgen bleiben können, bedenkt und erörtert. Wo solche Zweifel bestehen können, darf der Rechtsanwalt sich nicht mit der rechtlichen Würdigung des ihm Vorgetragenen begnügen, sondern muss sich bemühen, durch Befragung des Ratsuchenden ein möglichst vollständiges und objektives Bild der Sachlage zu gewinnen. Er muss dabei durch richtige Fragen an seinen Auftraggeber die tatsächlichen Grundlagen ans Licht bringen, d.h. die Information, die er für eine richtige und umfassende Beratung braucht, schaffen und ergänzen." Schließlich hat der Anwalt alle Angaben des Mandanten, der zumeist juristischer Laie ist, kritisch zu überprüfen. Dies gilt in erster Linie für Rechtsbegriffe, die der Mandant verwendet.

 

Rz. 92

Der Rechtsanwalt muss über rechtliche Chancen und Risiken aufklären und auf Grundlage des damit gewonnenen Sachverhaltes beraten. So ist bei Arbeitgebermandaten grundsätzlich zu klären, ob ein Kleinbetrieb i.S.d. § 23 Abs. 1 KSchG vorliegt oder nicht. Unt...

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