Rz. 577

Ein Ausnahmefall, bei dem ein Widerruf oder eine Kürzung von Versorgungsleistungen nach der Rspr. zulässig sein kann, ist unter bestimmten Voraussetzungen die Treuepflichtverletzung des Versorgungsberechtigten.

 

Rz. 578

Mangels entsprechender gesetzlicher Regelungen hat das BAG seit seiner Entscheidung v. 18.10.1979 (3 AZR 550/78, NJW 1980, 1127) in einer Vielzahl von weiteren Entscheidungen (vgl. u.a. BAG v. 19.6.1980 – 3 AZR 137/79, NJW 1981, 188; BAG v. 8.2.1983 – 3 AZR 10/81, NJW 1983, 2048; BAG v. 8.5.1990 – 3 AZR 152788, NZA 1990, 807) Grundsätze über den Widerruf von Versorgungszusagen wegen grober Treuepflichtverletzung des Arbeitnehmers aufgestellt.

 

Rz. 579

Nach Ansicht des BAG führen die grundlegenden Wertentscheidungen des BetrAVG – Unverfallbarkeit, Auszehrungsverbot, Insolvenzsicherung, Einbeziehung der betrieblichen Versorgungsanwartschaft in den Versorgungsausgleich – zu einer starken Verfestigung der Anwartschaften als vom Arbeitnehmer kalkulierbaren Äquivalent für die erbrachte Betriebstreue. Vor diesem Hintergrund kann ein auf ein treuwidriges Verhalten gestützter Widerruf von Versorgungsleistungen nur dann in Betracht kommen, wenn ein Festhalten des Arbeitnehmers an dem Versorgungsanspruch als rechtsmissbräuchlich zu werten ist. Der Einwand des Rechtsmissbrauches ist nach der Rspr. nur bei ungewöhnlich gravierenden Verstößen des Arbeitnehmers zulässig (BGH v. 22.6.1981 – II ZR 147/80, DB 1981, 1971), und das auch nur dann, wenn sich der Arbeitnehmer die Unverfallbarkeit der Anwartschaft durch Vertuschung schwerer Verfehlungen erschlichen hat (BAG v. 13.11.2012 – 3 AZR 444/10, Rn 47, BAGE 143, 273) oder durch sein Fehlverhalten dem Arbeitgeber ein erheblicher und unübersehbarer Schaden zugefügt worden ist (BAG v. 11.5.1982 – 3 AZR 1239/79, DB 1982, 2411), sodass sich die vom Arbeitnehmer erbrachte Betriebstreue rückwirkend betrachtet als gegenstandslos erweist (BAG v. 8.5.1990 – 3 AZR 152/88, NZA 1990, 807; BAG v. 13.11.2013 – 3 AZR 444/10, NZA 2013, 1279; BAG v. 12.11.2013 – 3 AZR 274/12, NZA 2014, 780; BAG v. 17.6.2014 – 3 AZR 412/13, juris; Langohr-Plato, jurisPR-ArbR 42/2014 Anm. 2).

 

Rz. 580

Eine derartige, einen Versorgungswiderruf rechtfertigende Treuepflichtverletzung des durch die Versorgungszusage Begünstigten hat die Rspr. z.B. in einem Fall anerkannt, bei dem der Versorgungsberechtigte seinem Arbeitgeber, einer Bank, durch sein Verhalten, welches er trotz Beanstandungen nicht abgestellt hatte, einen Schaden von mehr als 26,6 Mio. DM (Eigenkapital der Bank ca. 22 Mio. DM) zugefügt hatte. Die Bank hätte normalerweise Konkurs anmelden müssen, wenn nicht andere Sicherungseinrichtungen vorhanden gewesen wären (BGH v. 13.12.1999 – II ZR 152/98, ZIP 2000, 380).

 

Rz. 581

Dabei ist zu beachten, dass ein Fehlverhalten, das eine fristlose Kündigung rechtfertigen würde, allein nicht den Widerruf einer Versorgungszusage rechtfertigen kann (BAG v. 8.2.1983 – 3 AZR 463/80, NJW 1984, 141; BAG v. 13.11.2013 – 3 AZR 444/10, NZA 2013, 1279; BAG v. 12.11.2013 – 3 AZR 274/12, NZA 2014, 780; BAG v. 17.6.2014 – 3 AZR 412/13, juris). Der Widerruf einer Versorgungszusage ist weder ein Mittel, pflichtwidriges Verhalten zu sanktionieren noch den pflichtwidrig handelnden Mitarbeiter zu disziplinieren. Hat sich der Arbeitnehmer die Versorgungsanwartschaft auf redliche Weise erdient, so kann er diese Anwartschaft nicht allein durch die Verletzung vertraglicher Pflichten verlieren (BAG v. 8.5.1990 – 3 AZR 152/88, NZA 1990, 807).

Führen die vom Arbeitnehmer verursachten Vermögensschäden also nicht zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlage des Arbeitgebers, sind dessen Interessen mit der Möglichkeit, den Arbeitnehmer auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, hinreichend gewahrt (vgl. BAG v. 12.11.2013 – 3 AZR 274/12, NZA 2014, 780; BAG v. 13.11.2012 – 3 AZR 444/10, NZA 2013, 1279).

Die Rspr. verweist somit den Arbeitgeber im Regelfall auf die ihm zivilrechtlich zustehenden Schadensersatzansprüche.

 

Rz. 582

Ebenfalls darf der Widerruf einer Versorgungszusage nicht zu einer versteckten Konkurrenzklausel führen oder dazu dienen, schnell und einfach einen Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers zu befriedigen. Stehen dem Arbeitgeber entsprechende Ersatzansprüche zu, so ist er insoweit auf die gesetzlichen Klagemöglichkeiten unter Beachtung des Pfändungsschutzes, eines evtl. mitwirkenden Verschuldens des Arbeitgebers sowie der beschränkten Arbeitnehmerhaftung zu verweisen (BAG v. 8.5.1990 – 3 AZR 152/88, NZA 1990, 807; LAG Hamm v. 7.2.1989 – 6 Sa 1160/88, DB 1989, 788).

 

Rz. 583

Bei der Beurteilung des Arbeitnehmerfehlverhaltens sind somit weder die Schädigung als solche noch die Höhe des Schadens für sich allein maßgeblich. Entscheidend sind vielmehr die konkreten Umstände im jeweiligen Einzelfall, die insgesamt und im Zusammenhang zu würdigen sind (Langohr-Plato, MDR 1994, 857).

 

Rz. 584

Liegt ein den Widerruf der Versorgungszusage rechtfertigender Grund vor, so stellt sich die Frage, innerhalb welcher Frist de...

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