Rz. 8

Wird der Anwalt in sozialgerichtlichen Angelegenheiten, die nach dem Wert abgerechnet werden, mit einer Untätigkeitsklage beauftragt, stellt sich die Frage der Anrechnung einer vorangegangenen Geschäftsgebühr aus dem Verwaltungs- oder Nachprüfungsverfahren nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV. Zu beachten ist, dass auch hier der Streitgegenstand derselbe sein muss (Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 RVG). Im Verwaltungs- oder Nachprüfungsverfahren ist der Anwalt jedoch in der Hauptsache tätig, während es im Verfahren der sozialgerichtlichen Untätigkeitsklage (siehe § 88 SGG) – im Gegensatz zur verwaltungsgerichtlichen Untätigkeitsklage ausschließlich um den Anspruch auf Bescheidung, nicht um die Sache selbst geht.[2] Eine Entscheidung über seinen Leistungsanspruch oder eine Abwehr seiner Inanspruchnahme erreicht der Kläger hier nicht. Es handelt sich also faktisch um einen eigenen Instanzenzug (zu den Rahmengebühren, bei denen sich die vergleichbare Frage stellt und die dort von der Rspr. eindeutig beantwortet wird, siehe Rdn 188 ff., Beispiele 96 ff.). Daher findet hier keine Anrechnung der Geschäftsgebühr statt. Dies würde anderenfalls zu dem kuriosen Ergebnis führen, dass dieselbe Geschäftsgebühr zweimal angerechnet werden müsste, nämlich einmal auf das Bescheidungs-Klageverfahren und einmal auf den späteren Anfechtungs- oder Verpflichtungsprozess.

 

Rz. 9

Hier ist allerdings für die Untätigkeitsklage von einem geringeren Streitwert auszugehen. In Sozialsachen wird vom Wert der Hauptsache ausgegangen und ein Betrag in Höhe von 10–25 % der Hauptsache angenommen.[3] Hier soll im Folgenden jeweils von 25 % ausgegangen werden.

 

Beispiel 1: Untätigkeitsklage nach Widerspruchsverfahren

Der Anwalt wird erstmals mit Erhebung des Widerspruchs beauftragt (Gegenstandswert: 5.000,00 EUR) und nachdem dieser nicht beschieden wird, mit der Erhebung einer Untätigkeitsklage. Daraufhin wird der beantragte Bescheid erlassen und die Hauptsache für erledigt erklärt.

Der Anwalt erhält im Widerspruchsverfahren die Geschäftsgebühr der Nr. 2300 VV. Hier soll von der Mittelgebühr ausgegangen werden. Hinzu kommt eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV. Eine Anrechnung findet nicht statt.

Der Gegenstandswert des Widerspruchsverfahrens beträgt 5.000,00 EUR; der Streitwert der Untätigkeitsklage ergibt bei einem Ansatz von 25 % einen Betrag in Höhe von 1.250,00 EUR.

Eine Erledigungsgebühr fällt nicht an. Die anfangs dahingehend vertretene Auffassung wird – soweit ersichtlich – nicht mehr vertreten.

 
I. Widerspruchsverfahren
1. 1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV   501,00 EUR
  (Wert: 5.000,00 EUR)    
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 521,00 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   98,99 EUR
Gesamt   619,99 EUR
II. Untätigkeitsklage
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV   165,10 EUR
  (Wert: 1.250,00 EUR)    
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 185,10 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   35,17 EUR
Gesamt   220,27 EUR
 

Rz. 10

 

Beispiel 2: Untätigkeitsklage nach Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren

Der Anwalt wird im Verwaltungsverfahren beauftragt, in dem der Antrag abgelehnt wird. Anschließend wird er mit der Erhebung des Widerspruchs beauftragt und, nachdem dieser nicht beschieden wird, mit der Erhebung einer Untätigkeitsklage. Daraufhin wird der beantragte Bescheid erlassen und die Hauptsache für erledigt erklärt.

Jetzt erhält der Anwalt sowohl für das Verwaltungsverfahren als auch das Widerspruchsverfahren die Gebühr nach Nr. 2300 VV, wobei die erste Geschäftsgebühr gem. Vorbem. 2.3 Abs. 4 S. 1 VV hälftig auf die zweite Geschäftsgebühr anzurechnen ist. In beiden Fällen soll von der Mittelgebühr ausgegangen werden. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV für die Untätigkeitsklage erhält er dagegen anrechnungsfrei.

 
I. Verwaltungsverfahren
  Wie Beispiel 1, I.
II. Widerspruchsverfahren
1. 1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV   501,00 EUR
  (Wert: 5.000,00 EUR)    
2. gem. Vorbem. 2.3 Abs. 4 VV anzurechnen,   – 250,50 EUR
  0,75 aus 5.000,00 EUR    
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 270,50 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   51,40 EUR
Gesamt   321,90 EUR
III. Untätigkeitsklage
  Wie Beispiel 1, II.
 

Rz. 11

 

Beispiel 3: Untätigkeitsklage nach Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren mit anschließender Klage zur Hauptsache

Der Anwalt war im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren beauftragt und anschließend mit der Erhebung einer Untätigkeitsklage. Daraufhin wird der Widerspruch beschieden. Hiergegen wird Anfechtungsklage erhoben und darüber verhandelt.

Jetzt löst die Anfechtungsklage eine weitere Angelegenheit aus. Hier entsteht die Verfahrensgebühr der Nr. 3100 VV aus dem vollen Streitwert. Allerdings ist jetzt die Geschäftsgebühr für das Widerspruchsverfahren gem. Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV hälftig anzurechnen.

 
I. Verwaltungsverfahren
  Wie Beispiel 1, I.
II. Widerspruchsverfahren
1. 1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV   501,00 EUR
  (Wert: 5.000,00 EUR)    
2. gem. Vorbem. 2.3 Abs....

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