Rz. 162

Die Bestimmung des Pflichtteils bzw. die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Pflichtteilsanspruchs ist im Rahmen eines Erbfalls mit Auslandsbezug eine anspruchsvolle Aufgabe. Das Pflichtteilsrecht ist in sehr vielen Ländern anders ausgestaltet als in Deutschland. Daher ist zunächst einmal eine umfangreiche Einarbeitung in das jeweilige Pflichtteilsrecht unerlässlich. Ist das Pflichtteilsrecht sogar als echtes Noterbenrecht ausgestaltet, so bewirkt dies eine echte Aufwertung der Position des Pflichtteilsberechtigten (Pflichterben), da in vielen europäischen Ländern eine echte Teilhabe am Nachlass vorgesehen ist.

I. Bestimmung des Pflichtteilsrechts

 

Rz. 163

Das jeweilige Pflichtteilsrecht bestimmt sich nach dem Erbstatut.[368] Gleiches gilt dann freilich sowohl für den Kreis der Pflichtteilsberechtigten als auch für den Pflichtteilsergänzungsanspruch (soweit das jeweils einschlägige Erbrecht einen solchen vorsieht).[369]

[368] BGHZ NJW 1993, 1920; BGHZ 9, 154; OLG Köln FamRZ 1976, 172.
[369] Klingelhöffer, ZEV 1996, 258 ff.

II. Bezifferung des Pflichtteilsanspruchs im Falle einer Nachlassspaltung

 

Rz. 164

Unterliegt die Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Grundsatz der Nachlasseinheit, dann ist die Bezifferung anhand der jeweils einschlägigen Rechtsnorm vorzunehmen. Bei echten Noterben können diese Quoten sogar in einem deutschen Erbschein mit aufgeführt werden.[370] Die Höhe des Pflichtteilsanspruchs richtet sich dann nach der jeweils ausländischen Rechtsordnung.

 

Rz. 165

Komplizierter wird die Berechnung des Pflichtteils im Falle einer Nachlassspaltung. Wie bereits dargestellt, existieren in solch einem Fall mehrere Nachlassmassen, welche streng genommen unabhängig nebeneinander existieren. Da sich das Pflichtteilsrecht nach dem Erbstatut richtet, muss also für jeden Spaltnachlass das Pflichtteils- oder Noterbenrecht ermittelt und beziffert werden. Gleiches gilt freilich für den Kreis der zum Pflichtteil berufenen Personen. In der Praxis hat dies in der Vergangenheit zu teilweise recht kuriosen Ergebnissen geführt. So war ein enterbter Sohn beispielsweise in Frankreich Pflichterbe der Immobilie, wohingegen er für den übrigen Nachlass enterbt war. Da vor Einführung der EuErbVO Belegenheitsrechte als Einzelstatut über Art. 3a EGBGB a.F. beachtet wurden, entstand diese Situation in internationalen Fragestellungen nicht selten. Diese Ergebnisse werden nunmehr mit der EuErbVO weitestgehend vermieden. Die allgemeine Kollisionsvorschrift in Art. 21 Abs. 1 EuErbVO geht vom Grundsatz der Nachlasseinheit aus, sodass zumindest im Unionsgebiet Spaltnachlässe und damit auch unterschiedliche, jedoch nebeneinander bestehende, Pflichtteilsreche vermieden werden.

 

Rz. 166

Die Teilnachlässe sind nach den entsprechenden Rechtsordnungen zu bilden.[371] Dies kann, insbesondere bei Erbfällen vor Einführung der EuErbVO, zu den unterschiedlichsten Ergebnissen und Konstellationen führen. So kann es beispielsweise sein, dass ein testamentarisch enterbter Abkömmling nach dem Belegenheitsrecht (lex rei sitae) eines Landes Noterbe wird und dadurch wieder Miteigentümer der im Ausland belegenen Immobilie, gleichzeitig in Deutschland (bzw. für das bewegliche und in Deutschland unbewegliche Vermögen) aber nur einen Wertersatzanspruch erhält.

[370] Hausmann/Trabucchi, in: Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann, Internationales Erbrecht, Italien, Grdz. H Rn 506.
[371] Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 18 Rn 3 ff.

III. Bestehender Regelungsbedarf im Pflichtteilsrecht

 

Rz. 167

In der Vergangenheit war das Erbstatut aus deutscher Sicht starr an die Staatsangehörigkeit des Erblassers gebunden. War ein Erblasser deutscher, so war die Anwendung deutschen Erbrechts in aller Regel für im Inland lebende Pflichtteilsberechtigte klar. Durch die Einführung der EuErbVO kommt es jedoch nunmehr nicht mehr auf die deutsche Staatsangehörigkeit bei der Bestimmung des Erbstatuts, sondern auf den letzten gewöhnlichen Aufenthalt an. Für ein Ehepaar, welches aus Deutschland nach Südeuropa in den Altersruhesitz verzieht, und letztwillig verfügt hat, kann das durchaus Konsequenzen haben.

 

Rz. 168

 

Beispiel

Ein Ehepaar nimmt seinen Alterswohnsitz in Spanien (kein Foralrechtsgebiet) und beabsichtigt, die Kinder erst nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten zu bedenken. Dabei ist ihnen bereits bei Wegzug klar, dass ein Kind mit dieser Vorgehensweise nicht einverstanden sein wird. Das spanische Recht jedoch sieht, anders als das deutsche Erbrecht, ein echtes Noterbenrecht vor mit wesentlich höheren Quoten. Die Umsetzung der Verfügung ist mithin in Gefahr.

Lösungsweg Rechtswahl

Nach der EuErbVO ist es möglich, eine Rechtswahl zugunsten des Heimatlandes des Erblassers gemäß Art. 22 EuErbVO zu treffen. Dabei ist es unerheblich, wie lange der Erblasser bereits in einem anderen Mitgliedstaat der EU lebt. Treffen die Erblasser in ihren Verfügungen von Todes wegen jeweils eine Rechtswahl zugunsten deutschen Rechts, so verbleibt es beim deutschen Pflichtteilsanspruch. Des Weiteren erfährt der Pflichtteilsanspruch keine Stärkung, indem er vom schuldrechtlichen Ersatzanspruch zum wahren Noterbrecht wird. Darüber hinaus sollte b...

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