Rz. 803

Sind bei einer Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 des BetrVG die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird gem. § 1 Abs. 5 KSchG vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.

 

Rz. 804

Der Interessenausgleich bedarf der Schriftform und muss eine abschließende Aufzählung der Arbeitnehmer enthalten, denen gekündigt werden soll (BAG v. 22.1.2004, AP Nr. 1 zu § 112 BetrVG Namensliste). Da § 1 Abs. 5 KSchG verlangt, dass die zu entlassenden Arbeitnehmer "in einem Interessenausgleich namentlich bezeichnet" werden, erstreckt sich das Schriftformerfordernis auch auf die Namensliste. Ihm wird ohne Weiteres Genüge getan, wenn diese zwar nicht im Interessenausgleich selbst, sondern in einer Anlage enthalten ist, Interessenausgleich und Namensliste aber eine einheitliche Urkunde bilden (st. Rspr., BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 386/11, Rn 26; BAG v. 12.5.2010 – 2 AZR 551/08, BAG EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 21; BAG v. 6.7.2006, AP Nr. 80 zu § 1 KSchG; BAG EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 68). Eine einheitliche Urkunde liegt jedenfalls dann vor, wenn Interessenausgleich und Namensliste von Anfang an körperlich miteinander verbunden waren (BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 386/11, Rn 26). Wird die Namensliste getrennt vom Interessenausgleich erstellt, ist es ausreichend, wenn beide Betriebsparteien sie unterzeichnet haben und sie auf den Interessenausgleich Bezug nimmt (BAG v. 21.1.2002, EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 10).

 

Rz. 805

Es steht der Vermutungswirkung der Namensliste nicht entgegen, wenn eine Betriebsänderung in mehreren Phasen erfolgen soll und die Betriebspartner für Maßnahmen, die erst später durchgeführt werden sollen, noch keine Namensliste vereinbart haben (BAG v. 22.1.2004, AP Nr. 1 zu § 112 BetrVG Namensliste). Die Wirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG treten nur ein, wenn die der Kündigung zugrunde liegende Betriebsänderung vollumfänglich Gegenstand einer Verständigung der Betriebsparteien i.S.v. § 111 S. 1, § 112 BetrVG ist (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15 – Ls.). Ein Interessenausgleich nur über Teile der Betriebsänderung reicht nicht aus (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15 – Ls.).

Eine Betriebseinschränkung i.S.v. § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG, die als Betriebsänderung (§ 111 S. 1 BetrVG) gilt, kann auch in einem bloßen Personalabbau liegen, wenn erhebliche Teile der Belegschaft betroffen sind. Richtschnur sind die Zahlen und Prozentangaben in § 17 Abs. 1 KSchG. Für Großbetriebe wird diese Staffel eingeschränkt – dort ist eine Betriebseinschränkung i.S.d. § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG erst bei einem Personalabbau von 5 % der Gesamtbelegschaft gegeben (BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, Rn 17).

Wie in diesem Zusammenhang zeitversetzte Personalabbaumaßnahmen zu beurteilen sind, hängt maßgeblich von den Planungsvorstellungen des Arbeitgebers ab (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, Rn 30). Beruht der sukzessive Personalabbau auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung, sind die Abbaumaßnahmen grundsätzlich zusammen zu betrachten (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, Rn 30; BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 516/11, Rn 19). Eine enge zeitliche Nähe der Entlassungswellen ist dabei nicht zwingend vorausgesetzt, kann aber eine einheitliche Planung indizieren (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, Rn 30). Eine spätere Entlassungswelle kann auch das Ergebnis einer neuen Planung sein (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, Rn 30). Dies gilt insbesondere, wenn nach der ersten Entlassungswelle neue, vom Arbeitgeber ursprünglich nicht vorhergesehene und eingeplante Umstände eingetreten sind (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, Rn 30; BAG v. 28.3.2006 – 1 ABR 5/05, Rn 19). In solchen Fällen sind die aufgrund neuer Planung ergriffenen Maßnahmen grundsätzlich unabhängig von einem bis dahin durchgeführten Personalabbau zu betrachten, auch wenn sie möglicherweise auf derselben wirtschaftlichen Entwicklung beruhen (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, Rn 30; BAG v. 6.6.1978 – 1 AZR 495/75; Gillen, NZA 2005, 1385).

Ist über eine Betriebsänderung, die auf einer einheitlichen Planung beruht, ein wirksamer Interessenausgleich zustande gekommen, ist nach der Rechtsprechung des BAG für das Eingreifen der Vermutungswirkung i.S.v. § 1 Abs. 5 KSchG nicht erforderlich, dass die Namen der zu kündigenden Arbeitnehmer in einer einheitlichen Namensliste zusammengefasst sind (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, Rn 33). Die Betriebspartner können vielmehr zeitlich gestaffelt entsprechend den geplanten "Entlassungswellen" jeweils eine vollständige Namensliste aufstellen (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, Rn 33). Ist in einem solchen Fall der gekündigte Arbeitnehmer von der zweiten "Welle" betroffen und liegt hinsichtlich der beiden ersten Stufen jeweils eine abschließende Einigung der Betriebspartner über den durchzuführenden Personalabbau und insoweit vollständige Namenslisten vor, bildet dies eine ausreichende Vermutungsbasis i.S.v. § 1 Abs...

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