aa) Negative Zukunftsprognose

 

Rz. 177

Entscheidend für die negative Zukunftsprognose bei einer lang andauernden Krankheit ist, dass nach den objektiven Umständen, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung bestehen, die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers ungewiss und ein Ende der Arbeitsunfähigkeit nicht absehbar ist (BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 148/01, AP Nr. 65 zu § 1 KSchG 1969). In die Prognoseentscheidung fließen insb. die Art und Ursache der Erkrankung, das Alter des Arbeitnehmers sowie die Häufigkeit früherer gleichartiger Arbeitsunfähigkeitszeiten ein. Fehlzeiten aufgrund von Arbeitsunfällen bleiben jedoch unberücksichtigt (BAG v. 14.1.1993 – 2 AZR 343/92, EzA KSchG § 1 Krankheit Rn 39). Die Dauer der bisherigen Arbeitsunfähigkeit für sich genommen sagt noch nichts darüber aus, ob der Arbeitnehmer auch künftig dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt sein wird. Unter Umständen kann der bisherigen Erkrankungsdauer aber eine gewisse Indizwirkung zu entnehmen sein. Nach der Rspr. des BAG gibt es indes keinen Erfahrungssatz, nach dem bei lang andauernden Krankheiten für die Zukunft damit zu rechnen ist, dass die Krankheit für eine ungewisse Zeit fortbesteht (BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 148/01 AP Nr. 65 zu § 1 KSchG 1969). Regelmäßig wird daher zur Erstellung der Prognose ein medizinisches Sachverständigengutachten erforderlich sein (v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 394).

 

Rz. 178

In der Literatur wird teilweise vertreten, eine Kündigung wegen lang andauernder Krankheit komme erst nach Ablauf der Sechs-Wochen-Frist des § 3 EFZG (Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall) in Betracht (Neumann, NJW 1978, 1838, 1840; Küttner/Eisemann, Kündigung, Personenbedingte Rn 14). Dies wird in der Praxis zwar für die meisten Fälle zutreffen (so auch KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 366). Es sind allerdings auch Fälle denkbar, in denen eine lang andauernde Arbeitsunfähigkeit bereits vor Ablauf der Sechs-Wochen-Frist feststehen kann, bspw. aufgrund eines schweren Unfalles oder der Diagnose einer langwierigen, zur langfristigen Arbeitsunfähigkeit führenden Krankheit (vgl. auch v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 393; APS/Dörner, § 1 KSchG Rn 145). Bei Kündigungen vor Ablauf der Sechs-Wochen-Frist des § 3 EFZG ist zu beachten, dass gem. § 1 S. 1 EFZG der Anspruch des Arbeitnehmers auf Fortzahlung seines Arbeitsentgeltes nicht dadurch berührt wird, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Dieser Anspruch geht allerdings inhaltlich und zeitlich nicht weiter als bei der Entgeltfortzahlung im bestehenden Arbeitsverhältnis. Infolgedessen endet die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung spätestens nach sechs Wochen (ErfK/Dörner, § 8 EFZG Rn 1).

 

Rz. 179

Hinsichtlich der negativen Zukunftsprognose ist schließlich zu beachten, dass die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen einer Langzeiterkrankung nach der Rspr. des BAG erst dann sozial gerechtfertigt ist, wenn mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in den 24 Monaten nach Zugang der Kündigung nicht gerechnet werden kann (BAG v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, NZA 1999, 978; BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 148/01, NZA 2002, 1081; zu Recht krit. zu dieser Rspr. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 397).

bb) Betriebliche und/oder wirtschaftliche Beeinträchtigung

 

Rz. 180

Eine lang andauernde Krankheit eines Arbeitnehmers führt i.d.R. beim Arbeitgeber nicht zu einer übermäßig starken Belastung im wirtschaftlichen Bereich, da die Entgeltfortzahlungspflicht gem. § 3 EFZG nach sechs Wochen endet. Im Unterschied zu häufigen Kurzerkrankungen unterschiedlicher Art ist das Lohnfortzahlungsrisiko wegen des auf sechs Wochen begrenzten Anspruchszeitraums i.d.R. deshalb auf ein zumutbares Maß beschränkt (BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, DB 1983, 1047).

 

Rz. 181

Es gibt aber Fälle, in denen eine erhebliche Betriebsstörung auch bei lang andauernden Krankheiten denkbar ist, etwa wenn der einzige Spezialist für eine bestimmte Tätigkeit oder der Inhaber einer Schlüsselposition ausfällt.

 

Rz. 182

Ist im Zeitpunkt der Kündigung nicht damit zu rechnen, dass die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers innerhalb der nächsten 24 Monate nach Kündigungsausspruch wiederhergestellt werden kann, steht dies einer dauernden Leistungsunfähigkeit gleich (vgl. hierzu Rdn 188), sodass die Grundsätze zur Kündigung aufgrund krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit entsprechend anwendbar sind. Somit muss auch in einem solchen Fall nicht zusätzlich dargelegt werden, dass betriebliche Interessen beeinträchtigt sind (BAG v. 18.1.2007 – 2 AZR 759/05, AP Nr. 44, § 1 KSchG 1969 Krankheit; krit. auch Küttner/Eisemann, Kündigung, personenbedingte Rn 17). Nach dieser Rspr. führt allein die Ungewissheit über die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Belange, weil der Arbeitgeber auf unabsehbare Zeit gehindert ist, sein Direktionsrecht auszuüben (BAG v. 18.1.2007 – 2 AZR 759/05, AP Nr. 44 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

 

Rz. 183

In anderen Fällen muss der Arbeitgeber insb. pr...

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