Rz. 966

Die ordentliche Kündigung ggü. Betriebsratsmitgliedern ist im Grundsatz unzulässig, § 15 Abs. 1 KSchG i.V.m. § 134 BGB. Liegt der Zeitpunkt des Kündigungszuganges vor dem zeitlichen Geltungsbereich des besonderen Kündigungsschutzes, greift dieser nicht ein. Dies gilt selbst dann, wenn der Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses nach Beginn des besonderen Kündigungsschutzes liegt. Sofern die ordentliche Kündigung i.R.d. § 15 KSchG zulässig ist, ist vor ihrem Ausspruch das betriebsverfassungsrechtliche Anhörungsverfahren gem. § 102 Abs. 1 BetrVG durchzuführen.

 

Rz. 967

Eine ordentliche Änderungskündigung, die einem einzelnen Betriebsratsmitglied ggü. ausgesprochen wird, ist unzulässig (BAG v. 6.3.1986 – 2 ABR 15/85, NZA 1987, 102).

 

Rz. 968

Gem. § 15 Abs. 4 KSchG ist die ordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes dann möglich, wenn der ganze Betrieb stillgelegt wird. Der Grund für die Stilllegung ist gleichgültig. Die zur Betriebsstilllegung führende Unternehmerentscheidung ist vom ArbG hinzunehmen, jedenfalls nicht auf ihre Erforderlichkeit oder sonstige Rechtfertigung hin zu überprüfen. Dabei gelten aber auch die Grundsätze über das Vorliegen eines gemeinsamen Betriebes mehrerer Unternehmen. Auch das Arbeitsverhältnis eines Mitglieds einer nach § 3 Abs. 1 Nr. 1–3 BetrVG gebildeten Arbeitnehmervertretung kann gem. § 15 Abs. 4 KSchG ordentlich gekündigt werden, wennn das Betriebsratsmitglied in einem Betrieb i.S.d. § 1 BetrVG beschäftigt ist und dieser stillgelegt wird. § 15 Abs. 4 KSchG enthält ebenso wie das ganze KSchG keine eigene Definition des Betriebsbegriffs. Es gilt daher der allgemeine Betriebsbegriff, der demjenigen des § 1 Abs. 1 BetrVG entspricht (BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19). Danach ist der Betrieb die organisatorische Einheit von Arbeitsmitteln, mit deren Hilfe der Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern unter Einsatz von technischen und immateriellen Mitteln einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck fortgesetzt verfolgt, der nicht nur in der Verfolgung von Eigenbedarf liegt. Deswegen enthält § 3 Abs. 1 Nr. 1–3 BetrVG keine Aussage darüber, auf welche Einheit bei der Betriebsstillegung abzustellen sei (BAG v. 27.6.2019 -2 AZR 38/19).

 

Rz. 969

Eine Betriebsstilllegung setzt den ernstlichen und endgültigen Willen des Unternehmers voraus, die Produktionsgemeinschaft für einen seiner Dauer nach unbestimmten, wirtschaftlich nicht unerheblichen Zeitraum aufzugeben. Einer Betriebsstilllegung steht aber die kurzfristige Weiterbeschäftigung einiger weniger Arbeitnehmer mit Abwicklungs- oder Aufräumungsarbeiten nicht entgegen. Dabei kann auf die Maßstäbe zurückgegriffen werden, die die Rspr. heranzieht, wenn es die Betriebsstilllegung i.R.d. § 1 KSchG als betriebsbedingten Kündigungsgrund nach § 1 KSchG prüft (BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 137/00, NZA 2002, 212). Auch bei Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse ist die Kündigung gem. § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG gleichwohl sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden könne. Für die Sozialauswahl gilt aber, dass sie betriebsbezogen ist, auch wenn eine betriebsübergreifende Versetzungsklausel vereinbart worden ist (BAG v. 24.10.2019 – 2 AZR 85/19). Die Sozialauswahl bleibt auch betriebsbezogen, wenn das Betriebsratsmitglied in einem Gemeinschaftsbetrieb i.S.v. § 1 Abs. 2 BetrVG beschäftigt wird (BAG v. 24.10.2019 – 2 AZR 85/19).

 

Rz. 970

Den Betriebsratsmitgliedern kann frühestens zum Zeitpunkt der Betriebsstilllegung mit dann erst laufender Kündigungsfrist gekündigt werden (BAG v. 29.3.1977 – 1 AZR 46/75, EzA § 102 BetrVG Nr. 27). Kündigt der Arbeitgeber zum voraussichtlichen Termin der Stilllegung, endet das Arbeitsverhältnis, falls sich die Stilllegung verzögert, mit dem nächstzulässigen Termin nach der Betriebsstilllegung. Erfolgt die Betriebsstilllegung stufenweise, darf den Betriebsratsmitgliedern erst mit den letzten Arbeitnehmern gekündigt werden (BAG v. 26.10.1967 – 2 AZR 422/66, AP Nr. 17 § 13 KSchG). Der durch § 15 Abs. 4 und 5 KSchG gewährte Schutz dient nämlich nicht den persönlichen Interessen der betriebsverfassungsrechtlichen Mandatsträger, sondern dem Interesse der Arbeitnehmer an der unabhängigen und durch keine willkürlichen Maßnahmen des Arbeitgebers bedrohten Amtsführung des Betriebsrates. Der Arbeitgeber darf einem Betriebsratsmitglied ausnahmsweise dann vor der Betriebsstilllegung ordentlich kündigen, wenn zwingende betriebliche Gründe vorliegen. Dies ist allenfalls dann anzunehmen, wenn für das Betriebsratsmitglied keinerlei Arbeitsaufgaben vorhanden sind, die es verrichten könnte.

 

Rz. 971

Unter Berücksichtigung des allgemeinen Schutzzweckes ist § 15 Abs. 4 KSchG erweiternd dahin gehend auszulegen, dass eine ordentliche Kündigung wegen einer Betriebsstilllegung nur dann zulässig ist, wenn auch keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb des Unternehmens besteht. Die gese...

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