Rz. 1291

In seiner Entscheidung v. 10.12.1998 (8 AZR 324/97, NZA 1999, 422) hatte der 8. Senat des BAG einen Fortsetzungsanspruch im Fall des Konkurses des alten Betriebsinhabers abgelehnt, weil dafür aufgrund der europarechtlichen Vorgaben keine Notwendigkeit bestehe. Nach europäischem Recht sei die Anerkennung eines Wiedereinstellungsanspruches in der Insolvenz nicht geboten, weil die RL 98/50/EG v. 29.6.1998 (nunmehr RL 2001/23/EG v. 12.3.2001) im Insolvenzverfahren keine Anwendung finde. Das BAG bezog sich damit auf Art. 4a der Betriebsübergangs-RL 98/50/EG, die es den Mitgliedstaaten freistellte, den Bestandsschutz der Arbeitsverhältnisse bei einem Betriebsübergang zu suspendieren, wenn über das Vermögen des Betriebsveräußerers ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Sofern die Mitgliedsstaaten nichts anderes vorsahen, galten die Art. 3 und 4 der RL bei einem Betriebsübergang im Rahmen eines Insolvenzverfahrens nicht (vgl. nunmehr Art. 5 der RL 2001/23/EG v. 12.3.2001).

 

Rz. 1292

Einmal abgesehen davon, dass ein Fortsetzungsanspruch auch während des Insolvenzverfahrens unabhängig von den unionsrechtlichen Vorgaben aus § 613a BGB nach den dargestellten allgemeinen Grundsätzen abgeleitet werden kann (siehe oben Rdn 1252), bestimmt der deutsche Gesetzgeber ausdrücklich, dass § 613a BGB auch in der Insolvenz Anwendung findet. In § 128 Abs. 2 InsO ist festgelegt, dass sich die Vermutung nach § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO oder die gerichtliche Feststellung nach § 126 Abs. 1 S. 1 InsO auch darauf erstreckt, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse nicht wegen eines Betriebsüberganges erfolgt. § 125 InsO betrifft den zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat geschlossenen Interessenausgleich mit Namensliste, der betriebsbedingte Kündigungen bei Betriebsänderungen in der Insolvenz dadurch erleichtert, dass die Kündigung als betriebsbedingt vermutet wird und die soziale Auswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden kann. Nach der Gesetzesbegründung sollen dadurch betriebsbedingte Kündigungen bei Betriebsänderung in der Insolvenz erleichtert und Schwierigkeiten, die sich aus dem auch in der Insolvenz zwingend vorgeschriebenen Übergang aller Arbeitsverhältnisse auf einen Betriebserwerber ergeben, verringert werden (BT-Drucks 12/2443, 97 u. 153). Der Gesetzgeber hielt die Anwendung des § 613a BGB auch in der Insolvenz für geboten, weil sonst zu befürchten sei, dass einige Schuldner ihre Zahlungsunfähigkeit planmäßig herbeiführen würden, um sich auf diese Weise von ihren arbeitsrechtlichen Verpflichtungen zu befreien.

 

Rz. 1293

Deshalb gilt der unionsrechtlich verstärkte Bestandsschutz der Arbeitsverhältnisse im Fall eines Betriebsinhaberwechsels auch bei einer Betriebsveräußerung in der Insolvenz. Die Übernahme einer wirtschaftlichen Einheit, bei der sich Zahl und Art der Arbeitsplätze nicht ändern, soll nicht zu einem Wegfall der Arbeitsplätze derjenigen Arbeitnehmer führen, die dem Betrieb angehören. Art. 3 Abs. 1 der RL 2001/23/EG v. 12.3.2001 beschränkt den Übergang zwar auf bestehende Arbeitsverhältnisse. Dies kann aber nicht bedeuten, dass Arbeitsverhältnisse trotz Identität der Einheit nur deshalb von einem Übergang auf den Erwerber ausgeschlossen werden, weil sie vom Betriebsinhaber wirksam gekündigt wurden. Die Kündigung ist nur deshalb wirksam, weil es nach nationalem deutschem Arbeitsrecht auf die Verhältnisse bei Ausspruch der Kündigung ankommt und dem Arbeitgeber schon Kündigungen wegen einer nur beabsichtigten Betriebsstilllegung gestattet sind. Bei diesem Verständnis schließt der Wiedereinstellungsanspruch gegen den Betriebserwerber eine sonst zwischen dem nationalen Recht und dem Unionsrecht klaffende Lücke.

 

Rz. 1294

Zwar hat das BAG für den Fall einer Insolvenzkündigung einen Wiedereinstellungsanspruch infolge eines 4 Tage nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgten Betriebsüberganges abgelehnt (BAG v. 13.5.2004 – 8 AZR 198/03, E 110, 336 = AP Nr. 264 zu § 613a BGB; BAG v. 28.10.2004 – 8 AZR 199/04, NZA 2005, 405; ferner BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA 2012, 999; s.a. Bonanni/Niklas, DB 2010, 1826). Grds. wird nunmehr aber ein Wiedereinstellungsanspruch auch bei Insolvenzkündigungen postuliert, und zwar auch bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz, wie sich aus den Entscheidungen im Umkehrschluss ableiten lässt (ebenso Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128, 1131; Oberhofer, RdA 2006, 95; s.a. Bichlmeier, DZWIR 2006, 89 ff.; vom Stein, in: FS Willemsen, 2018, S. 575, 584 f.; a.A. APS/Kiel, § 1 KSchG Rn 751). Freilich muss der Betriebsübergang dann innerhalb der Kündigungsfrist des Arbeitnehmers stattfinden, was wegen der verkürzten Kündigungsfrist des § 113 InsO selten der Fall sein wird. Auch in der Insolvenz ist es aber unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs zu würdigen, wenn der Betriebsübergang bewusst nach Ablauf der Kündigungsfrist stattfindet, um Wiedereinstellungsansprüche auszuschließen (BAG v. 13.5.2004, BAGE 110, 336; vom Stein, in: FS Willemsen, 2018, S. 575, 585).

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