Rz. 497

Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann darin – je nach den Umständen des Einzelfalls – ein erheblicher, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen (BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 76; BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 249/13, Rn 20; vgl. auch KR/Fischermeier, 10. Aufl., § 626 BGB Rn 408). Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nachteilige Folgen mit dem Ziel androht, dieser solle von einer beabsichtigten oder bereits erklärten Kündigung Abstand nehmen (BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 249/13, Rn 20; ähnlich BAG v. 11.3.1999 – 2 AZR 507/98, zu II 1 b aa der Gründe; BAG v. 30.3.1984 – 2 AZR 362/82, zu B I der Gründe; jeweils zur Androhung von Presseveröffentlichungen). Eine Kündigung, die auf ein solches Verhalten gestützt wird, setzt regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus (BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 76). Unbeachtlich ist demgegenüber, ob das Verhalten den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt (BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 76; BAG v. 19.11.2015 – 2 AZR 217/15, Rn 36; BAG v. 13.5.2015 – 2 AZR 531/14, Rn 43; BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 249/13, Rn 20). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB bilden (BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 249/13, Rn 20; BAG v. 21.6.2012 – 2 AZR 694/11, Rn 21 m.w.N., BAGE 142, 188). Eine Drohung setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird (BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 249/13, Rn 22; BAG v. 9.6.2011 – 2 AZR 418/10, Rn 14). Sie muss nicht ausdrücklich ausgesprochen werden. Die Drohung kann auch versteckt erfolgen, beispielsweise durch eine Warnung oder einen Hinweis auf nachteilige Folgen (BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 249/13, Rn 22; BAG v. 9.3.1995 – 2 AZR 644/94, zu 2 der Gründe; BGH v. 22.11.1995 – XII ZR 227/94, zu 2 der Gründe). Als Übel genügt jeder Nachteil. Das In-Aussicht-Stellen eines zukünftigen Übels ist widerrechtlich, wenn entweder das Mittel, dh. das angedrohte Verhalten, oder der Zweck, dh. die erwartete Willenserklärung, oder jedenfalls der Einsatz des fraglichen Mittels zu dem fraglichen Zweck von der Rechtsordnung nicht gedeckt ist (BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 249/13, Rn 22; BAG v. 22.10.1998 – 8 AZR 457/97, zu I 4 d bb der Gründe).

Eine erhebliche Pflichtverletzung – die sogar eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann – stellen ferner grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 77; BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 646/11, Rn 22; BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 534/08, Rn 17; vgl. auch Rdn 480). Zwar dürfen Arbeitnehmer – auch unternehmensöffentlich – Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (vgl. zur außerordentlichen Kündigung: BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 646/11, Rn 22; BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 534/08, Rn 17; zur ordentlichen Kündigung: BAG v. 19.11.2015 – 2 AZR 217/15, Rn 37; BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 21/05, Rn 45).

 

Rz. 498

Auch die ernstliche und im Zustand freier Willensbetätigung abgegebene Drohung mit Selbstmord kann einen wichtigen Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses bilden, wenn es dem Arbeitnehmer darum geht, mit der Drohung Druck auf den Arbeitgeber auszuüben, um bestimmte eigene Interessen oder Forderungen durchzusetzen (BAG v. 29.7.2016 – 2 AZR 47/16, Ls.). Der Arbeitgeber muss es nicht hinnehmen, dass der Arbeitnehmer versucht, ihn mit der unverhohlenen Ankündigung eines Suizids zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu bestimmen (BAG v. 29.7.2016 – 2 AZR 47/16, Rn 24). Eine erhebliche Pflichtverletzung in Gestalt einer ernstlichen Drohung liegt vor, wenn die Äußerung nach ihrem sorgfältig zu ermittelnden Erklärungsgehalt objektiv geeignet ist, bei einem "normal" empfindenden Menschen den Eindruck der Ernstlichkeit zu erwecken und der Wille des Drohenden darauf gerichtet ist, dass der Adressat die Drohung ernst nimmt (BAG v. 29.7.2016 – 2 AZR 47/16, Rn 27). Nicht entscheidend ist, ob der Drohende seine Ankündigung verwirklichen kann oder will (BAG v. 29.7.2016 – 2 AZR 47/16, Rn 27). Ebenso wenig kommt es grundsätzlich darauf an, ob der Adressat sie tatsächlich ernst nimmt und ob eine Störung des Rechtsfriedens eintritt (BAG v. 29.7.2016 – 2 AZR 47/16, Rn 27; zur strafrechtlichen Beurteilung siehe BVerfG v. 19.12.1994 – 2 BvR 1146/94, zu III 3 der Gründe).

 

Rz. 499

Der Drohende genießt keinen besonderen Kündigungssc...

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