Rz. 474

Außerdienstliches Verhalten, welches keine Auswirkungen auf die vertraglichen Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber hat, ist grds. kündigungsrechtlich irrelevant (v. Hoyningen/Huene-Linck, § 1 KSchG Rn 588; ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB Rn 82). Hierzu zählen auch besondere sexuelle Neigungen und Veranlagungen (BAG v. 23.6.1994, AP Nr. 9 zu § 242 BGB Kündigung). Lässt sich eine Arbeitnehmerin für eine "softpornografische Zeitschrift" unbekleidet fotografieren, liegt kein Kündigungsgrund vor (ArbG Passau, 11.12.1997 – 2 Ca 711/97 D, NZA 1998, 427). Auch wiederholte Kasinobesuche des Leiters einer kleinen Bankfiliale rechtfertigen keine verhaltensbedingte Kündigung, wenn keine konkreten Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis eingetreten sind (LAG Hamm v. 14.1.1998, LAGE BGB § 626 Nr. 119).

 

Rz. 475

Der Arbeitnehmer hat jedoch die allgemeine Pflicht zur Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB zu beachten. Nach dieser Bestimmung ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Dies dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks (BAG v. 23.10.2008, NZA-RR 2009, 362; BAG v. 2.3.2006, NZA-RR 2006, 636). Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann (BAG v. 10.4.2014 – 2 AZR 684/13, Rn 14; BAG v. 26.3.2009, AP Nr. 220 zu § 626 BGB Rn 24; BAG v. 2.3.2006, NZA-RR 2006, 636). Er ist auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (BAG v. 10.4.2014 – 2 AZR 684/13, Rn 14; BAG v. 10.9.2009 – 2 AZR 257/08, NZA 2010, 220; BAG v. 23.10.2008, NZA-RR 2009, 362). Die Pflicht zur Rücksichtnahme kann deshalb auch durch außerdienstliches Verhalten verletzt werden (BAG v. 10.9.2009 – 2 AZR 257/08, NZA 2010, 220, 222; ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB Rn 83). Voraussetzung ist allerdings, dass durch das – rechtswidrige – außerdienstliche Verhalten des Arbeitnehmers berechtigte Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt werden. Das ist der Fall, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat (BAG v. 10.4.2014 – 2 AZR 684/13, Rn 14; BAG v. 10.9.2009 – 2 AZR 257/08, NZA 2010, 220, 222; BAG v. 27.11.2008, AP Nr. 90 zu § 1 KSchG 1969 Rn 21).

Diese Grundsätze gelten auch für außerdienstlich begangene Straftaten. Der Arbeitnehmer verstößt mit einer Straftat gegen seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB, wenn die Tat einen Bezug zu seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen oder zu seiner Tätigkeit hat und dadurch berechtigte Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer verletzt werden (BAG v. 10.4.2014 – 2 AZR 684/13, Rn 14; BAG v. 26.9.2013 – 2 AZR 741/12, Rn 15). Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer die Straftat zwar außerdienstlich, aber unter Nutzung von Betriebsmitteln oder betrieblichen Einrichtungen begangen hat (BAG v. 10.9.2009 – 2 AZR 257/08, NZA 2010, 220, 222). Fehlt hingegen ein Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, ist die vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers regelmäßig nicht verletzt (BAG v. 10.9.2009 – 2 AZR 257/08, NZA 2010, 220, 222; Stahlhacke/Preis, Rn 700).

 

Rz. 476

Die vorgenannten Grundsätze gelten nach der Ablösung des BAT durch den TVöD bzw. den TV-L auch im öffentlichen Dienst (BAG v. 10.4.2014 – 2 AZR 684/13, Rn 14; BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 583/12, Rn 26). Für Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes galten gem. §§ 6, 8 BAT besondere Verpflichtungen. Die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes hatten sich nach diesen Vorschriften innerhalb und außerhalb des Dienstes so zu verhalten, dass das Ansehen des Arbeitgebers bzw. des Amtes nicht beeinträchtigt wird. In seinem außerdienstlichen Verhalten hatte der Angestellte des öffentlichen Dienstes nicht nur die Gesetze und die sonstigen Rechtsvorschriften, sondern auch die ungeschriebenen Anstandsgesetze zu beachten, wobei der Angestellte jedoch das Recht hat, sein Privatleben nach seinen Vorstellungen zu gestalten, sofern er nicht gröblich seine Pflicht zu einem achtungswürdigen Verhalten verletzt (Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT-Kommentar, § 8 Rn 43; Scheuring, ZTR 1999, 337; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 591). Auf dieser tariflichen Grundlage konnte eine außerdienstlich begangene Straftat von einigem Gewicht die verhaltensbedingte Kündigung eines Angehörigen des öffentlichen Dienstes rechtfertigen (BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 325/00, NZA 2002, 1030; BAG v. 8.6.2000, BAGE 95, 78). Das Betreiben eines Swinger-Clubs durch eine Grundschullehrerin in einer mehr als 70 km weiten Entfernung von der Grundschule rech...

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