Rz. 113

Nach der VOB/B setzt die Anwendbarkeit des § 642 BGB voraus, dass eine Behinderungsanzeige nach § 6 Abs. 1 S. 1 VOB/B erfolgt ist oder dass nach § 6 Abs. 1 S. 2 VOB/B Offenkundigkeit gegeben ist. Somit ersetzt die Behinderungsanzeige das wörtliche Angebot und umgekehrt (vgl. die Ausführungen unter Rdn 89).

 

Rz. 114

Die Behinderungsanzeige muss nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 S. 1 VOB/B schriftlich erfolgen. Da allerdings auch eine offensichtliche Behinderung nach § 6 Abs. 1 S. 2 VOB/B Ansprüche des Auftragnehmers auslöst, zeigt sich bereits, dass die Schriftform lediglich Beweiszwecken dient.[124] Für die Wirksamkeit einer Behinderungsanzeige ist es daher ausreichend, wenn diese mündlich erfolgt.

 

Rz. 115

Die Behinderungsanzeige bildet zusammen mit der Behinderungsabmeldung die Berechnungsgrundlage für die Dauer der Verzögerung, so dass die Schriftlichkeit die Regel sein sollte, aber dennoch keine Anspruchsvoraussetzung ist.

 

Rz. 116

Für die Rechtswirksamkeit einer Behinderungsanzeige ist nach der einschlägigen BGH-Rechtsprechung[125] Folgendes Voraussetzung:

die Behinderung muss unverzüglich angezeigt werden;
der Auftragnehmer muss sich nach seiner Prognose in der ordnungsgemäßen Durchführung seiner Leistung behindert glauben, sichere Kenntnis ist nicht notwendig;
die Anzeige ist entweder an den Auftraggeber direkt oder an seinen bevollmächtigten Vertreter auf der Baustelle zu richten (Zugang der Behinderungsanzeige);
die Behinderungsanzeige muss die Bereiche benennen, in denen sich der Auftragnehmer behindert glaubt oder bereits behindert ist;
die Anzeige muss im Übrigen alle Tatsachen enthalten, aus denen sich für den Auftraggeber mit hinreichender Klarheit die Gründe für die Behinderung oder die Unterbrechung im Einzelnen ergeben, damit der Auftraggeber in der Lage versetzt wird, die Behinderung abzustellen oder deren Auswirkung zu mildern.
 

Rz. 117

Die vorstehenden Voraussetzungen werden nachfolgend im Einzelnen nochmals kurz erläutert:

[124] OLG Köln v. 1.12.1980 – 22 U 73/80 – BauR 1981, 472, 474.
[125] BGH v. 21.10.1999 – VII ZR 185/98 – BauR 2000, 722, 723 = NJW 2000, 1336; OLG Celle v. 6.10.1994 – 22 U 234/92 – BauR 1995, 552.

(1) Unverzüglichkeit

 

Rz. 118

Die Anzeige ist unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB), abzugeben. Eine nicht unverzüglich erstattete Behinderungsanzeige kann Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzung gegen den Auftragnehmer aus § 280 BGB nach sich ziehen oder dazu führen, dass der Auftraggeber eine Anspruchskürzung beim Auftragnehmer wegen § 254 BGB (Schadensgeringhaltungspflicht) geltend machen kann.

 

Rz. 119

In der Praxis bedeutet dies, dass der Auftraggeber nachweisen kann, dass er bei rechtzeitiger Behinderungsanzeige dafür gesorgt hätte, dass die Behinderungen nicht die nunmehr eingetretenen Auswirkungen gehabt hätten. Dies betrifft sowohl die zeitlichen wie auch die wirtschaftlichen Folgen der Behinderung. Außerdem können beim Auftraggeber selbst Schäden durch die Behinderung des Auftragnehmers entstehen, die in entsprechender Höhe hätten vermieden werden können, wenn der Auftraggeber rechtzeitig unterrichtet worden wäre.

 

Rz. 120

"Unverzüglich" i.S.v. § 6 Abs. 1 VOB/B und der BGH-Rechtsprechung heißt, dass nach zumutbarer Prognose des Auftragnehmers Behinderungen im Sinne behindernder Wirkungen eintreten können. Die Anzeigepflicht:

besteht daher nicht erst bei sicherer Kenntnis der Behinderung, sondern bereits bei begründeter Annahme, dass eine Behinderung aller Voraussicht nach eintreten wird, und
unabhängig von der Ursache der Behinderung;
setzt die Prüfungspflicht des Auftragnehmers voraus;
führt ggf. zu Schadensersatzansprüchen, wenn sie unterlassen wird (Pflichtverletzung);

entfällt nur bei Offenkundigkeit, d.h. bei

Kenntnis oder einfacher Wahrnehmbarkeit der Tatsachen und
Kenntnis oder für im Bauwesen Tätige Klarheit der Auswirkungen auf Baufortschritt oder
wenn selbst der in Bausachen unerfahrene Laie geradezu darauf gestoßen wird.

(2) Adressat

 

Rz. 121

Grundsätzlich hat der Auftragnehmer die Anzeige an den Auftraggeber zu richten. Architekten und andere Bauaufsichtsführende sind grundsätzlich nicht die richtigen Adressaten, es sei denn, der Auftraggeber hat diese mit einer entsprechenden Vollmacht ausgestattet. Resultiert die Behinderung aus dem Bereich des Bauüberwachers und verschließt sich dieser einer berechtigten Vorhaltung des Auftragnehmers,[126] so ist er keinesfalls der richtige Adressat einer Behinderungsanzeige. Dann muss der Auftragnehmer die Anzeige an den Auftraggeber richten.

[126] OLG Köln v. 1.12.1980 – 22 U 73/80 – BauR 1981, 472, 473.

(3) Hindernde Tatsachen

 

Rz. 122

Für das Vorliegen der hindernden Tatsachen reicht die Gewissheit oder die begründete Vermutung aus. Es genügt jedoch nicht allein der Hinweis auf fehlende Pläne. Der Auftragnehmer muss die Auswirkung des Fehlens solcher Pläne auf die Bauzeit darlegen.[127] Eine Behinderung ist daher z.B. nicht gegeben, wenn der Auftragnehmer nach den ihm vorgelegten Vorabzügen arbeiten kann.[128]

 

Rz. 123

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