Rz. 111

Beim VOB/B-Vertrag gelten die Ausführungen zu § 642 BGB unter Rdn 87 ff. vollumfänglich. Die VOB/B enthält in den seit 2006 geltenden Fassungen in § 6 Abs. 6 S. 2 VOB/B die ausdrückliche Klarstellung, dass der Entschädigungsanspruch des Auftragnehmers aus § 642 BGB unberührt bleibt. Dagegen ist – abweichend von § 643 BGB – der Ausspruch einer Kündigung erforderlich (§ 9 VOB/B), um den Vertrag infolge von Annahmeverzug zu beenden.

a) Entschädigungsanspruch

 

Rz. 112

Aus der VOB/B ergibt sich eine Reihe von Pflichten des Auftraggebers. Nach § 3 Abs. 1 VOB/B hat der Auftraggeber z.B. dem Auftragnehmer, die für die Ausführung der Bauleistung erforderlichen Unterlagen unentgeltlich und rechtzeitig zu übergeben. Daneben muss er nach § 3 Abs. 2 VOB/B auch die Grenzen des Baugrundstücks abstecken. Dem Auftraggeber obliegen auch die Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung auf der Baustelle, die Regelung des Zusammenwirkens der verschiedenen Auftragnehmer sowie die Herbeiführung erforderlicher öffentlich-rechtlicher Genehmigungen und Erlaubnisse (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B).

aa) Behinderungsanzeige (§ 6 Abs. 6 S. 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 S. 1 VOB/B)

 

Rz. 113

Nach der VOB/B setzt die Anwendbarkeit des § 642 BGB voraus, dass eine Behinderungsanzeige nach § 6 Abs. 1 S. 1 VOB/B erfolgt ist oder dass nach § 6 Abs. 1 S. 2 VOB/B Offenkundigkeit gegeben ist. Somit ersetzt die Behinderungsanzeige das wörtliche Angebot und umgekehrt (vgl. die Ausführungen unter Rdn 89).

 

Rz. 114

Die Behinderungsanzeige muss nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 S. 1 VOB/B schriftlich erfolgen. Da allerdings auch eine offensichtliche Behinderung nach § 6 Abs. 1 S. 2 VOB/B Ansprüche des Auftragnehmers auslöst, zeigt sich bereits, dass die Schriftform lediglich Beweiszwecken dient.[124] Für die Wirksamkeit einer Behinderungsanzeige ist es daher ausreichend, wenn diese mündlich erfolgt.

 

Rz. 115

Die Behinderungsanzeige bildet zusammen mit der Behinderungsabmeldung die Berechnungsgrundlage für die Dauer der Verzögerung, so dass die Schriftlichkeit die Regel sein sollte, aber dennoch keine Anspruchsvoraussetzung ist.

 

Rz. 116

Für die Rechtswirksamkeit einer Behinderungsanzeige ist nach der einschlägigen BGH-Rechtsprechung[125] Folgendes Voraussetzung:

die Behinderung muss unverzüglich angezeigt werden;
der Auftragnehmer muss sich nach seiner Prognose in der ordnungsgemäßen Durchführung seiner Leistung behindert glauben, sichere Kenntnis ist nicht notwendig;
die Anzeige ist entweder an den Auftraggeber direkt oder an seinen bevollmächtigten Vertreter auf der Baustelle zu richten (Zugang der Behinderungsanzeige);
die Behinderungsanzeige muss die Bereiche benennen, in denen sich der Auftragnehmer behindert glaubt oder bereits behindert ist;
die Anzeige muss im Übrigen alle Tatsachen enthalten, aus denen sich für den Auftraggeber mit hinreichender Klarheit die Gründe für die Behinderung oder die Unterbrechung im Einzelnen ergeben, damit der Auftraggeber in der Lage versetzt wird, die Behinderung abzustellen oder deren Auswirkung zu mildern.
 

Rz. 117

Die vorstehenden Voraussetzungen werden nachfolgend im Einzelnen nochmals kurz erläutert:

[124] OLG Köln v. 1.12.1980 – 22 U 73/80 – BauR 1981, 472, 474.
[125] BGH v. 21.10.1999 – VII ZR 185/98 – BauR 2000, 722, 723 = NJW 2000, 1336; OLG Celle v. 6.10.1994 – 22 U 234/92 – BauR 1995, 552.

(1) Unverzüglichkeit

 

Rz. 118

Die Anzeige ist unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB), abzugeben. Eine nicht unverzüglich erstattete Behinderungsanzeige kann Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzung gegen den Auftragnehmer aus § 280 BGB nach sich ziehen oder dazu führen, dass der Auftraggeber eine Anspruchskürzung beim Auftragnehmer wegen § 254 BGB (Schadensgeringhaltungspflicht) geltend machen kann.

 

Rz. 119

In der Praxis bedeutet dies, dass der Auftraggeber nachweisen kann, dass er bei rechtzeitiger Behinderungsanzeige dafür gesorgt hätte, dass die Behinderungen nicht die nunmehr eingetretenen Auswirkungen gehabt hätten. Dies betrifft sowohl die zeitlichen wie auch die wirtschaftlichen Folgen der Behinderung. Außerdem können beim Auftraggeber selbst Schäden durch die Behinderung des Auftragnehmers entstehen, die in entsprechender Höhe hätten vermieden werden können, wenn der Auftraggeber rechtzeitig unterrichtet worden wäre.

 

Rz. 120

"Unverzüglich" i.S.v. § 6 Abs. 1 VOB/B und der BGH-Rechtsprechung heißt, dass nach zumutbarer Prognose des Auftragnehmers Behinderungen im Sinne behindernder Wirkungen eintreten können. Die Anzeigepflicht:

besteht daher nicht erst bei sicherer Kenntnis der Behinderung, sondern bereits bei begründeter Annahme, dass eine Behinderung aller Voraussicht nach eintreten wird, und
unabhängig von der Ursache der Behinderung;
setzt die Prüfungspflicht des Auftragnehmers voraus;
führt ggf. zu Schadensersatzansprüchen, wenn sie unterlassen wird (Pflichtverletzung);

entfällt nur bei Offenkundigkeit, d.h. bei

Kenntnis oder einfacher Wahrnehmbarkeit der Tatsachen und
Kenntnis oder für im Bauwesen Tätige Klarheit der Auswirkungen auf Baufortschritt oder
wenn selbst der in Bausachen unerfahrene Lai...

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