Rz. 72

Schließlich sei noch auf eine Sonderregelung für solche Scheidungen hingewiesen, bei denen die Eheleute zunächst ein gerichtliches Trennungsverfahren haben durchführen lassen, ohne sich scheiden zu lassen. In Betracht kommt das vor allem bei italienischen Staatsangehörigen, weil das italienische Recht materiell-rechtlich die Scheidung an eine gerichtlich angeordnete Trennung von dreijähriger Dauer knüpft. Der Gesetzgeber der VO 1259/2010 wollte verhindern, dass die gerichtlich getrennten Eheleute danach ihren gewöhnlichen Aufenthalt in ein Land mit günstigeren Scheidungsvoraussetzungen verlegen, um auf diese Weise leichter zu einer Scheidung zu gelangen. Er hat deswegen in Art. 9 VO 1259/2010 bestimmt, dass dann, wenn bereits ein Trennungsverfahren durchgeführt worden ist, die Scheidung nach dem Recht durchzuführen ist, das auch auf die Trennung angewendet worden ist.

 

Rz. 73

 

Beispiel

Pasquale und Paola, beide italienische Staatsangehörige, haben in Rom geheiratet und dort bis Dezember 2014 zusammen gelebt. Im März 2015 haben sie sich gerichtlich trennen lassen. Im gleichen Monat haben sie beide aus beruflichen Gründen ihren gewöhnlichen Aufenthalt nach Deutschland verlegt. Im Januar 2016 stellt Paolo den Scheidungsantrag beim Amtsgericht – Familiengericht – Stuttgart. Ohne Sonderregelung wäre das auf die Scheidung anzuwendende Recht nach Art. 8 VO 1259/2010 zu bestimmen. Es griffe dann schon Art. 8 Buchst. a VO 1259/2010 ein: Beide Ehegatten haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Für die Scheidung und damit auch den Versorgungsausgleich gälte daher deutsches Recht. Um aber einen Statutenwechsel zur Beschleunigung der Scheidung einer Ehe zu verhindern, bestimmt Art. 9 Abs. 1 VO 1259/2010, dass bei einer Umwandlung einer Trennung ohne Auflösung des Ehebandes in eine Ehescheidung das auf die Ehescheidung anzuwendende Recht das Recht ist, das auf die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes angewendet wurde. Wollen die Parteien etwas anderes, müssen sie dazu eine Rechtswahl nach Art. 5 VO 1259/2010 treffen. Das für die Umwandlung maßgebende Recht bleibt deswegen in diesem Fall das italienische. Ein Versorgungsausgleich von Amts wegen ist daher, denn dieser setzt voraus, dass das berufene Recht das deutsche Recht ist (Art. 17 Abs. 3 Satz 1 EGBGB). Außerdem kennt das Heimatrecht keines der Ehegatten den Versorgungsausgleich als Rechtsinstitut. Liegen aber die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 3 Satz 2 VersAusglG vor, kommt ein Versorgungsausgleich auf Antrag jedes der Ehegatten in Betracht.

 

Rz. 74

Etwas anderes gilt dann, wenn das Recht, das auf die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes angewendet worden ist, keine Umwandlung der Trennung ohne Auflösung des Ehebandes in eine Ehescheidung vorsieht. In einem solchen Fall ist eine Scheidung keine Fortsetzung des Trennungsverfahrens, sondern ein ganz neues, selbstständiges Verfahren. Es findet deswegen Art. 8 VO 1259/2010 Anwendung. Wollen die Eheleute das nicht, müssen sie nach Art. 5 VO 1259/2010 eine Rechtswahl treffen.

 

Rz. 75

Das Gleiche (Anwendung von Art. 8 der VO 1259/2010 bzw. eines durch Rechtswahl bestimmten Rechts) gilt, wenn die Eheleute noch gar kein Trennungsverfahren durchgeführt haben und in einen Staat umziehen, in dem es kein Trennungsverfahren gibt.

 

Rz. 76

 

Beispiel

Pasquale und Paola, beide italienische Staatsangehörige, haben in Genua geheiratet. Seit März 2007 leben sie in Stuttgart. Paolo stellt Scheidungsantrag beim Amtsgericht – Familiengericht – Stuttgart. In diesem Fall gilt nichts Besonderes: Mangels Rechtswahl ist das auf die Scheidung anzuwendende Recht nach Art. 8 VO 1259/2010 zu bestimmen. Es greift schon Art. 8 Buchst. a VO 1259/2010 ein: Beide Ehegatten haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Für die Scheidung und damit auch den Versorgungsausgleich gilt deutsches Recht. Ein Versorgungsausgleich von Amts wegen ist aber nicht durchzuführen, weil das Heimatrecht keines der Ehegatten den Versorgungsausgleich als Rechtsinstitut kennt. Liegen aber die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 3 Satz 2 VersAusglG vor, kommt ein Versorgungsausgleich auf Antrag jedes der Ehegatten in Betracht.

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