Rz. 3

Der Versorgungsausgleich ist eines der Rechtsinstitute, die bei der Scheidung einer Ehe dazu eingesetzt werden, die Rechtsbeziehungen der Eheleute wieder voneinander zu lösen. Er ergänzt damit in seinem speziellen Anwendungsbereich v.a. die Regelungen über den güterrechtlichen Ausgleich und folgt auch ähnlichen Gedanken (Ehezeitprinzip und Halbteilungsgrundsatz). Zugleich hat er den Zweck, die Versorgung der Eheleute für den Fall des Alters oder der Erwerbsunfähigkeit neu zu organisieren und von dem Schicksal der Versorgung des anderen Ehegatten unabhängig zu machen.[1] Er dient damit auch dazu, das Prinzip der Eigenständigkeit und Eigenverantwortung nach der Ehe zu fördern und abzusichern. Insofern ersetzt der Versorgungsausgleich eine unterhaltsrechtliche Lösung, die sonst zur Absicherung des schwächeren Ehegatten erforderlich wäre, der in der Ehe selbst keine oder nur wenige Versorgungsanrechte für den Fall des Alters oder der Erwerbsunfähigkeit erworben hat.[2]

 

Rz. 4

Die in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechte sind regelmäßig die wertvollsten Vermögenspositionen, welche die Eheleute bei einer Scheidung aufzuteilen haben, denn Versorgungsanrechte erwirbt jeder Berufstätige (zwangsweise), während die gesamte sonstige Vermögensbildung von seinen wirtschaftlichen Fähigkeiten abhängt und i.Ü. auch in sein Belieben gestellt ist. Zudem sind Altersversorgungen schon an sich wertvoll: Damit eine Altersversorgung den Zweck erfüllen kann, den Berechtigten im Alter adäquat abzusichern, müssen in die Sicherungssysteme hohe Beträge eingezahlt werden. Das Rechtsinstitut, das über die Verteilung der Versorgungsanrechte im Fall der Beendigung einer Ehe entscheidet, ist deswegen von einer enormen wirtschaftlichen Bedeutung.

 

Rz. 5

Es liegt deswegen in dem ureigenen Interesse der Eheleute, dass die in der Ehe erworbenen Anrechte gerecht zwischen ihnen aufgeteilt werden. Merkwürdigerweise entsprach die frühere Rechtspraxis der Bedeutung des Versorgungsausgleichs nicht. Der Ausgleich der Rentenanrechte wurde oft als lästiges Anhängsel des Scheidungsverfahrens angesehen, dem nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Das hatte sicherlich z.T. psychologische Gründe: Im Scheidungsstadium wollen die Eheleute meistens in erster Linie nur eines: schnell geschieden werden. Der Versorgungsausgleich dagegen betrifft Anrechte, deren Bedeutung für die Eheleute zu diesem Zeitpunkt noch in weiter Ferne liegt. Deswegen ist die Intensität, mit der sie diesen Ausgleich verfolgen, im Regelfall eher gering. Hinzu kommt, dass der Versorgungsausgleich schon wegen seiner Bezugnahme auf die sozialrechtlichen Regelungen eine für viele Laien nur schwer verständliche Materie ist. Auch viele Juristen hatten früher und haben heute mit dem Versorgungsausgleich wegen der Komplexität der Regelungen, der Unübersichtlichkeit der Rechtsquellen, der Unkenntnis der Systematik und der unendlichen Kasuistik in Bezug auf die Versorgungsanrechte, ihre Bewertung und der auf sie anzuwendenden Ausgleichsformen erhebliche Schwierigkeiten.

 

Rz. 6

Durch die Bedeutung für eine angemessene Versorgung im Alter hat der Versorgungsausgleich auch einen existenzsichernden Aspekt: Nur wenn der Versorgungsausgleich gewährleistet, dass die während der (immer noch) relativ langen Zeit einer Ehe eingezahlten Beträge wirtschaftlich richtig beiden Ehegatten zugeordnet werden, kann es in Fällen der vorzeitigen Beendigung einer Ehe sozialrechtlich zu einer Sicherung gegen das Risiko Alter bzw. Erwerbsunfähigkeit kommen, mit der das Risiko einer Verarmung im Alter eingeschränkt bzw. vermieden werden kann.

 

Rz. 7

Das zeigt, dass der Versorgungsausgleich nicht nur der Verwirklichung der Interessen der Eheleute bei der Scheidung allein dient. Die Versorgung für den Fall des Alters und der Erwerbsunfähigkeit und deren Verteilung bei der Scheidung sind Fragen, welche auch die Allgemeinheit betreffen. Das gilt v.a. in Bezug auf die Frage, inwieweit die weiteren an dem Ausgleichssystem beteiligten anderen Personen durch die Aufteilung der Invaliditäts- und Altersversorgung mit betroffen werden. Angesprochen sind insoweit die Interessen der Versichertengemeinschaft. Durch die Mitbetroffenheit Dritter unterscheidet sich der Versorgungsausgleich deutlich von den Ausgleichsmechanismen, wie sie etwa das Güterrecht kennt. Damit sind regelmäßig nicht die Interessen der Eheleute allein für die Durchführung des Versorgungsausgleichs maßgebend, sondern es sind auch die Interessen der Versichertengemeinschaft zu berücksichtigen – jedenfalls in der Art, dass es keinen Ausgleich zugunsten der Eheleute geben darf, durch den die Interessen der anderen im Versorgungssystem beteiligten Personen verletzt werden. Ein Ausgleich zulasten Dritter darf nicht in Betracht kommen. Das VersAusglG und das FamFG lösen diesen Interessenkonflikt dadurch auf, dass einerseits den Versorgungsträgern Beteiligungsrechte am Verfahren eingeräumt werden (vgl. § 219 FamFG). Zum anderen wird die Entscheidung verschiedener mat...

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