Rz. 120

Ein Fehlverhalten Dritter unterbricht grundsätzlich nicht den Zurechnungszusammenhang.[172]

 

Rz. 121

Es kann dann allerdings gesamtschuldnerische Haftung zwischen Erst- und Folgeschädiger bestehen. Wird z.B. eine auf der Straße liegende Person mehrfach überrollt, haftet derjenige, der dieses verantwortlich verursachte, auch für die erst durch späteres Überfahren eingetretene dauerhafte Arbeitsunfähigkeit, selbst wenn sich nicht mehr aufklären lässt, wer letztlich welche Verletzungen und Dauerfolgen herbeiführte.[173]

 

Rz. 122

 

Beispiel 3.6

A wird durch Verschulden des B verletzt und danach in ein Krankenhaus eingeliefert.

Auf dem Transport ins Krankenhaus erleidet A eine weitere Verletzung.[174]

Der Krankentransporter verunfallt während der Rückfahrt (weil z.B. ein anderer Verkehrsteilnehmer einen weiteren Unfall mit dem Krankenwagen herbeiführt, der Transporter wegen der hohen Geschwindigkeit von der Straße abkommt oder der Rettungshubschrauber abstürzt).

Im Krankenhaus wird dem A eine falsche Blutkonserve verabreicht. Er fällt danach in ein dauerhaftes Koma.

Ergebnis:

B hat – u.U. gesamtschuldnerisch mit dem Zweitschädiger – dem A Schadenersatz zu leisten.

Die weiteren Ereignisse sind dem Erstschädiger B noch zuzurechnen; weder Kausal- noch Zurechnungszusammenhang sind unterbrochen.

 

Rz. 123

Auch das Risiko einer falschen Behandlungsmethode trägt grundsätzlich der Erstschädiger. Ärztliche Kunstfehler unterbrechen die haftungsausfüllende Kausalität ausnahmsweise dann, wenn es sich um ein ungewöhnliches Fehlverhalten, also einen schweren Kunstfehler, des ­Arztes handelt.[175] Soll eine Zurechnung zu Lasten des Erstschädigers entfallen, muss ein fundamentaler Diagnoseirrtum, etwa ein Versäumnis oder Versehen, das "in Anbetracht der ­Eindeutigkeit der Befunde unter keinem denkbaren Gesichtspunkt entschuldbar erscheint", vorliegen.[176]

 

Rz. 124

Bei Zurechnung des Diagnose- oder Behandlungsfehlers zu Lasten des Erstschädigers kann dieser aber Rückgriffsansprüche gegenüber dem Arzt haben (gestufte Gesamtschuld).[177] Der Arzt haftet für seine Fehler ohne Rücksicht auf ein Mitverschulden des Patienten am davor liegenden Haftpflichtereignis; für den Arzt ist ohne Relevanz, warum jemand von ihm zu behandeln ist.[178]

[172] BGH v. 10.2.2004 – VI ZR 218/03 – DAR 2004, 265 = IVH 2004, 104 (nur Ls.) = MDR 2004, 684 (nur Ls.) = NJW 2004, 1375 = NJW-Spezial 2004, 65 (nur Ls.) = NZV 2004, 243 = r+s 2004, 212 = SP 2004, 148 = VerkMitt 2004, Nr. 61 = VersR 2004, 529 = VRS 106, 428 = zfs 2004, 255 (Anm. Diehl) (Der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang zwischen einem Erstunfall, durch den es zur Teilsperrung einer Autobahn kommt, und den Schadensfolgen eines Zweitunfalls, der dadurch verursacht wird, dass ein Kraftfahrer ungebremst in die durch den Erstunfall veranlassten ordnungsgemäßen Absicherungsmaßnahmen fährt, kann je nach den besonderen Umständen des Einzelfalls entfallen. Dabei kann auch die Abwägung der Betriebsgefahren der beteiligten Kfz zu dem Ergebnis führen, dass der Verursacher des Erstunfalls für die Schäden des Zweitunfalls nicht haftet.); BGH v. 11.11.1999 – III ZR 98/99 – MDR 2000, 262 = NJW 2000, 947 = VersR 2000, 370 = WM 2000, 531; OLG Karlsruhe v. 31.5.1990 – 9 U 224/88 – DAR 1991, 300 = NZV 1991, 269 = r+s 1991, 159 = VersR 1992, 842 = VRS 81 (1991), 81 = zfs 1991, 332 (nur Ls.) (Wer für den Verkehrsunfall verantwortlich ist, kann auch für die Verletzungen haftbar sein, die ein anderer dadurch erleidet, dass ein Dritter in die Unfallstelle hinein fährt. Ein haftungsrechtlicher Zusammenhang mit der Betriebsgefahr ist anzunehmen, solange die durch den Unfall geschaffene Gefahrenlage fortbesteht und hierauf der neue Unfall zurückzuführen ist. Der Zurechnungszusammenhang wird unterbrochen, wenn das schädigende Verhalten nur noch der äußere Anlass für das Verhalten Dritter ist. Hält ein Fahrzeug unmittelbar am Ort des ersten Unfalls am Straßenrand an und fährt ein weiteres Fahrzeug infolge überhöhter Geschwindigkeit auf dieses auf, fehlt es am Zurechnungszusammenhang zwischen dem ersten und dem zweiten Unfall.); LG Köln v. 12.5.2005 – 30 O 495/03 – SP 2005, 331 (Zurechnungszusammenhang fehlt, wenn nach dem Erstunfall die Unfallstelle abgesichert ist und ein weiterer Kraftfahrer in die Unfallstelle hinein fährt oder wenn der erste Unfall nur noch äußerer Anlass und von untergeordneter Bedeutung für den zweiten Unfall ist und sich nicht anders darstellt als wenn das Hindernis, das zum zweiten Unfall geführt hat, aus irgendeinem anderen Grund bestanden hätte).
[173] Siehe zum Innenausgleich Jahnke, Abfindung von Personenschadenansprüchen, § 2 Rn 246 ff. mit Rechenbeispielen.
[174] BGH v. 15.12.1970 – VI ZR 51/70 – BGHZ 55, 86 = JZ 1971, 382 = NJW 1971, 506 = VersR 1971, 321.
[175] BGH v. 20.9.1988 – VI ZR 37/88 – ArztR 1989, 295 = JuS 1989, 575 (Anm. Emmerich) = MDR 1989, 150 = MedR 1989, 78 = NJW 1989, 768 (Anm. Deutsch) = NJW-RR 1989, 412 (nur Ls.) = r+s 1989, 81 = VersR 1988, 1273; BGH v. 8.1.1965 – VI ZR 232/63 ...

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