Rz. 65
Schreckzustände sind Ausdruck des allgemeinen Lebensrisikos und unterfallen nicht dem Schutzzweck der deliktischen Haftung.[89] Auch eine psychische Erkrankung durch das Miterleben eines schweren Unfalles, bei dem der Betroffene nur als Zuschauer anwesend, sonst aber nicht beteiligt war, ist grundsätzlich dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen.[90] So hebt BGH v. 12.11.1985[91] hervor, dass der Betroffene nicht als unbeteiligter Dritter ein zufälliger Zeuge eines Verkehrsunfalls, sondern dem Unfallgeschehen selbst unmittelbar ausgesetzt war und daran mitgewirkt hat. Eine Haftpflicht des Unfallverursachers kommt aber nur in Betracht, wenn der Geschädigte als unmittelbar am Unfall Beteiligter infolge einer psychischen Schädigung eine schwere Gesundheitsstörung erlitten hat,[92] da in diesem Fall der Schädiger dem Geschädigten die Rolle eines unmittelbaren Unfallbeteiligten aufgezwungen hat.[93]Beifahrer eines unfallbeteiligten Fahrzeuges, die körperlich nicht verletzt wurden sind – anders als der Fahrer – nicht unmittelbar am Haftungsgeschehen beteiligt, sondern – wie andere Zeugen auch – ohne Ersatzanspruch.[94]
Rz. 66
Psychische Beeinträchtigungen wie Trauer und Schmerz beim Tod naher Angehöriger sind nur in eng begrenzten Ausnahmefällen entschädigungspflichtige Gesundheitsbeschädigungen (Schock- oder Fernwirkungsschäden naher Angehöriger).[95]
Rz. 67
Psychische Beeinträchtigungen beim Tod (u.U. auch bei sehr schwerer Verletzung[96]) naher Angehöriger sind erst dann als Gesundheitsschädigung i.S.v. § 823 I BGB anzusehen, wenn sie pathologisch fassbar sind und deshalb nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als Verletzung des Körpers oder der Gesundheit angesehen werden.[97] Die Gesundheitsbeeinträchtigung muss echten Krankheitscharakter haben. Die mit dem Tode eines Verwandten verbundenen Missempfindungen reichen zur Begründung einer Verletzung allein noch nicht aus. Gleiches gilt für gewisse pathologisch zu verifizierende Beeinträchtigungen wie depressive Verstimmungen,[98] Verzweiflung und andauernde Leistungsminderung, die dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen sind.[99] Dass aus medizinischer Sicht physiologische Störungen bestehen, reicht nicht; erforderlich ist, dass auch aus medizinischer Sicht eine nachhaltige traumatische Schädigung verursacht wurde, die zudem aus juristischer Sicht dasjenige übersteigt, worin sich das normale Lebensrisiko der menschlichen Teilnahme an den Ereignissen der Umwelt realisiert.[100] Wer einen Gesundheitsschaden nur mittelbar als (psychische) Folge des tödlichen (Verkehrs-)Unfalls eines Angehörigen erleidet, hat nach Maßgabe der vorstehenden Voraussetzungen dann einen eigenen Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung eines eigenen Rechtsguts und ist nicht nur mittelbar geschädigt.[101]
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