Rz. 172

 

Hinweis

Für die Akteneinsicht im Bußgeldverfahren gelten grds. die allgemeinen Regeln der Akteneinsicht im Strafverfahren (s. Burhoff/Burhoff, EV, Rn 225 ff.; Burhoff/Niehaus, OWi, Rn 252 ff.).

 

Rz. 173

Zuständig für die Akteneinsicht im vorbereitenden Verfahren ist die Verwaltungsbehörde, die das Verfahren durchführt. Ist das Verfahren bereits beim AG anhängig, ist dieses für die Gewährung der Akteneinsicht zuständig.

 

Rz. 174

Berechtigt zur Akteneinsicht ist zunächst der Verteidiger des Betroffenen.

 

Hinweis

Voraussetzung für die Gewährung von Akteneinsicht ist nicht, dass sich eine schriftliche Vollmacht bei der Akte befindet. Es genügt die Versicherung des Verteidigers, er sei bevollmächtigt (BGHSt 36, 259, 260; BGH, StraFo 2010, 339; KG, Beschl. v. 10.4.2007 – 2 Ss 58/07; Beschl. v. 17.10.2011 – 2 Ss 68/11; OLG Brandenburg, VRS 117, 305; OLG Jena, VRS 108, 276; OLG Koblenz, VRS 94, 219; OLG Köln, StRR 2011, 479; Burhoff/Burhoff, EV, Rn 295 m.w.N.; Burhoff/Niehaus, OWi, Rn 183; s. wohl auch BVerfG NJW 2012, 141 m. Anm. Burhoff StRR 2011, 426). Hat das Gericht Zweifel, muss/kann es diese allerdings aufklären und kann dann ggf. die Vorlage einer Vollmachtsurkunde verlangen (vgl. OLG Hamm, AnwBl. 1981, 31).

 

Rz. 175

Nach § 49 Abs. 1 OWiG gewährt im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde diese dem Betroffenen aber auch selbst – unter Aufsicht – Akteneinsicht (auch § 147 Abs. 4 StPO, zum Akteneinsichtsberechtigten Burhoff/Niehaus, OWi, Rn 180 ff.). Die Akteneinsicht durch den Betroffenen selbst steht nicht im Ermessen der Verwaltungsbehörde, sondern vermittelt dem Betroffenen einen Anspruch im Rahmen der in § 49 Abs. 1 OWiG genannten Versagungsgründe (KK-OWiG/Lampe, § 49 Rn 3).

 

Hinweis

Das Akteneinsichtsrecht des Betroffenen ist unabhängig davon, ob er einen Verteidiger beauftragt hat. Der Betroffene hatte nach bisher h.M. aber kein Recht zur Besichtigung amtlich verwahrter Beweisstücke. Lichtbilder von einem Verkehrsverstoß oder Videoaufzeichnungen sind allerdings Teil der Akten, so dass sie auch vom Betroffenen (nicht nur vom Verteidiger) in Augenschein genommen werden dürfen (Schäpe, DAR 1998, 326, 327). Nachdem nunmehr § 147 Abs. 4 StPO das Besichtigungsrecht des Beschuldigten auf amtlich verwahrte Beweisstücke erstreckt hat, dürfte dies allerdings nunmehr (erst recht) auch für das Ordnungswidrigkeitenverfahren im Rahmen des § 49 OWiG gelten.

 

Rz. 176

§ 49 Abs. 1 OWiG gilt aber nur für das Verfahren bei der Verwaltungsbehörde. Ist das Verfahren von dieser gem. § 69 Abs. 3 OWiG an die StA bzw. dann von dieser an das Gericht abgegeben worden, bleibt es über § 46 Abs. 1 OWiG bei der Anwendung des § 147 StPO. Der nicht verteidigte Betroffene kann dann nach § 147 Abs. 4 StPO die Akten einsehen und unter Aufsicht Beweisstücke besichtigen (vgl. Burhoff/Burhoff, EV, Rn 291 ff.).

 

Rz. 177

Wird dem Verteidiger die Akteneinsicht versagt, kann er abweichend von den sonstigen Rechtsmitteln bei Versagung/Beschränkung von Akteneinsicht gegen eine Entscheidung der Verwaltungsbehörde gem. § 62 OWiG Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen, über den das nach § 68 OWiG zuständige AG entscheidet (wegen der Einzelh. Gieg/Krenberger, OWi, Rn 367; vgl. noch Rdn 196 f.). Bei gerichtlichen Entscheidungen richten sich die Rechtsmittel nach § 46 OWiG i.V.m. § 147 Abs. 5 StPO (zu den Rechtsmitteln bei Akteneinsicht Burhoff/Burhoff, EV, Rn 464 ff.; Burhoff/Niehaus, OWi, Rn 191 ff.). Die Frage, ob gegen eine gerichtliche Entscheidung Beschwerde nach § 304 StPO eingelegt werden kann, wird zum Teil in der obergerichtlichen Rechtsprechung mit Blick auf § 305 S. 1 StPO (keine Beschwerde bei vorbereitenden Entscheidungen der erkennenden Gerichte) verneint (OLG Frankfurt, NStZ-RR 2001, 374; OLG Hamm, NStZ 2005, 226).

 

Rz. 178

Weil jedoch das Zusammenwirken der Versagung von Einsicht in die Messunterlagen durch das Amtsgericht und die anschließende Verwerfung der Rechtsbeschwerde durch das Oberlandesgericht mit der Begründung, dass der Betroffene keine konkreten Zweifel an der Richtigkeit der Messung aufgezeigt habe (was er wiederum nicht konnte, weil er keine Einsicht in die Messunterlagen erhalten hat; sog. Teufelskreis), dem Betroffenen berechtigte Verteidigungsrechte nehmen könnte, haben inzwischen verschiedene (Land-)Gerichte die Beschwerde gegen die Ablehnung der Einsichtnahme in die Messunterlagen als zulässig beurteilt (LG Trier, DAR 2017, 721 ("zur Vermeidung eines später nicht mehr zu beseitigenden rechtswidrigen Zustands"); LG Bielefeld, Beschl. v. 16.7.2020 – 10 Qs 220/20; LG Neubrandenburg, Beschl. v. 30.9.2015 – 82 Qs 112/15; LG Ellwangen, DAR 2011, 418; so bereits Burhoff in der 4. Aufl., Rn 166; vgl. Cierniak/Niehaus, DAR 2018, 541, 544). Dem Verteidiger ist anzuraten, von dieser Beschwerdemöglichkeit Gebrauch zu machen, um sich im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht dem (ggf. zur Unzulässigkeit führenden) Vorwurf auszusetzen, er habe nicht alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um die Messunterlagen zu erhalten (vgl. OLG Düsseldorf...

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