Rz. 31

Wird die passive Nutzungspflicht missachtet, kann dies zu unterschiedlichen prozessualen Konsequenzen führen (nur beispielhaft und nicht abschließend):

Übersehen einer Zustellungsfiktion (§§ 189 ZPO, 193a ZPO) mit den sich aus der Zustellung ergebenen Folgen (Fristenlauf etc.)
Zustimmungsfiktion bei Klagerücknahme oder Hauptsacheerledigung bei fehlendem Widerspruch (§§ 269 Abs. 3, 91a Abs. 1 ZPO)
Versäumung von richterlichen und gesetzlichen prozessualen Fristen mit der Folge der Präklusion
Versäumung von anberaumten Terminen mit der Folge z.B. eines Versäumnisurteils
Übersehen eines befristeten Vergleichsangebots der Gegenseite
Übersehen einer Ladung und Verpassen des Termins (Säumnis)
Übersehen einer Mandatskündigung (z.B. durch neuen Anwalt der Partei) und Ergreifung weiterer Maßnahmen in Unkenntnis der Mandatskündigung
Übersehen von richterlichen Verfügungen zur Substantiierung des Sachvortrags (Präklusion)
Übersehen einer Fristsetzung zur Abgabe von strafbewehrten Unterlassungserklärungen durch den Mandanten und daraufhin anschließender einstweiliger Verfügungsantrag (so auch bei Aufforderung zur Abgabe der Abschlusserklärung mit der Folge einer Hauptsacheklage)
 

Rz. 32

Daneben ist eine Fülle an weiteren Posteingängen und Zustellungen denkbar, deren Nichtbeachtung gravierende Folgen für den Auftraggeber haben kann. Dadurch können sowohl materiell-rechtliche Folgen als auch Kostenfolgen ausgelöst werden.

 

Rz. 33

Nutzt ein Anwalt sein beA nicht und missachtet damit die passive Nutzungspflicht, kann er aber auch nach Ansicht des LAG Kiel nicht im Wege der PKH/VKH beigeordnet werden, da er als "nicht zur Vertretung bereiter" Anwalt i.S.d. § 121 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 1 BRAO anzusehen ist.[14] Denn sobald ein Anwalt beigeordnet ist, sind Zustellungen gem. § 172 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 173 Abs. 3 ZPO u. § 175 ZPO zwingend an diesen auszuführen.[15] Auch gelegentliche Störungen bei der Nutzung des beA rechtfertigen die Verweigerung der Nutzung nicht, denn solchen Störungen ist vom Gesetzgeber durch entsprechende Regelungen. z.B. in § 46 S. 3 ArbGG, aufgrund der Möglichkeit einer Ersatzeinreichung ausreichend Rechnung getragen worden.[16]

 

Rz. 34

Anwältinnen und Anwälte sowie seit 1.8.2022 auch die Berufsausübungsgesellschaften[17] selbst haften für Pflichtverletzungen im Mandat, wenn diese kausal zu einem zurechenbaren Schaden des Auftraggebers führen, vgl. auch §§ 611 ff., 635 ff. i.V.m. 280 BGB. Die Missachtung der passiven Nutzungspflicht führt zu einer erheblichen Gefährdung des Mandanten und seiner Rechte.

[15] LAG Kiel, Beschl. v. 24.6.2020 – 1 Ta 51/20, BeckRS 2020, 17628 Rn 14- bezieht sich unter Verweis auf BAG v. 19.7.2006 – 3 AZB 18/07, BeckRS 2006, 43400 Rn 14 = NZA 2006, 1128 Ls.; BGH v. 8.12.2010 – XII ZB 38/09, NJOZ 2011, 1638 Rn 18.
[16] LAG Kiel, a.a.O.
[17] Siehe §§ 59k u. 59l BRAO.

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