Rz. 903

Bei Beurteilung einer Sittenwidrigkeit gem. § 138 Abs. 1 BGB ist zu unterscheiden:

 

Rz. 904

Eine Mitdarlehensnehmerschaft ist nicht allein deshalb nichtig, weil der Darlehensnehmer die übernommenen Verpflichtungen voraussichtlich nicht oder allenfalls unter Einsatz seines gesamten pfändbaren Arbeitseinkommens erfüllen kann.[756] Wer aus eigenem Entschluss und zur Finanzierung eigener Bedürfnisse oder Vorhaben ein Bankdarlehen zu marktüblichen Bedingungen aufnimmt, handelt grundsätzlich im Rahmen seiner Vertragsfreiheit. Dies gilt auch dann, wenn der Schuldner bewusst Rückzahlungs- und Zinsverpflichtungen übernimmt, die seine Leistungsfähigkeit überschreiten. Er kann sich daher nicht auf eine Sittenwidrigkeit berufen, sondern haftet im vollen Umfang der Vereinbarung.[757]

 

Rz. 905

Ausnahmsweise kann die finanzielle Überforderung des Darlehensnehmers im Einzelfall im Rahmen der Gesamtwürdigung nach § 138 Abs. 1 BGB zusammen mit anderen Geschäftsumständen von Bedeutung sein.[758] So ist in der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Konsumentenratenkredit anerkannt, dass bei Verträgen mit objektiv überhöhten Zinsforderungen und sonstigen unbilligen Bedingungen die wirtschaftlich schwächere Lage des Kreditnehmers zu den persönlichen Voraussetzungen des wucherähnlichen Kreditgeschäfts gehört und somit eine Nichtigkeit gem. § 138 BGB begründen kann.[759]

 

Rz. 906

Bei den weiteren Arten der Mitverpflichtung (Mithaftungsübernahme, Schuldbeitritt und Bürgschaft) spielt die Abgrenzung für die Beurteilung einer Sittenwidrigkeit gem. § 138 Abs. 1 BGB keine entscheidende Rolle. Nach der inzwischen übereinstimmenden Rechtsprechung der Zivilsenate des Bundesgerichtshofs hängt die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB sowohl bei Bürgschafts- als auch bei Mithaftungsverträgen zwischen Kreditinstituten und privaten Sicherungsgebern entscheidend vom Grad des Missverhältnisses zwischen dem Verpflichtungsumfang und der finanziellen Leistungsfähigkeit des Bürgen oder des Mitverpflichteten ab.[760]

 

Rz. 907

Das allein genügt jedoch nicht, um eine Sittenwidrigkeit gem. § 138 Abs. 1 BGB zu begründen. Es wird in einem solchen Fall aber widerleglich vermutet, dass die ruinöse Bürgschaft oder Mithaftung allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner übernommen wurde und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat.[761]

[756] BGH, Urt. v. 16.3.1989 – III ZR 37/88, NJW 1989, 1665.
[758] BGH, Urt. v. 16.3.1989 – III ZR 37/88, NJW 1989, 1665.
[759] BGH, Urt. v. 10.7.1986 – III ZR 133/85, NJW 1986, 2564.

1. Voraussetzungen

a) Krasse finanzielle Überforderung

 

Rz. 908

Eine Bürgschaft, die ein geschäftsunerfahrener Ehegatte oder Lebenspartner auf Veranlassung der Bank erteilt hat, ist nicht allein deshalb nichtig, weil zwischen dem Verpflichtungsumfang und der Leistungsfähigkeit des Bürgen ein grobes Missverhältnis besteht.[762]

Die Verpflichtung des Bürgen ist vielmehr erst dann unwirksam, wenn er durch weitere, dem Gläubiger zurechenbare Umstände in seinen berechtigten Interessen erheblich beeinträchtigt wird und so ein unerträgliches Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern entsteht. Solche Belastungen des Bürgen können sich insbesondere daraus ergeben, dass der Gläubiger dessen geschäftliche Unerfahrenheit oder eine seelische Zwangslage ausnutzt oder ihn auf andere Weise in seiner Entscheidungsfreiheit wesentlich beeinträchtigt.[763]

 

Rz. 909

Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Bürgen oder Mithaftenden ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt auf dem Grundbesitz des Bürgen ruhende dingliche Belastungen sind grundsätzlich wertmindernd zu berücksichtigen.[764]

Bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages ist zu prüfen, ob der Bürge bei einer Prognose bezogen auf den Zeitpunkt der Inanspruchnahme aus der Bürgschaft die eingegangene Hauptverbindlichkeit aus eigenen Mitteln zumindest zu einem erheblichen Teil erfüllen kann.[765] Dies kann auch bei einem zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses selbstständig tätigen Zahnarzt nicht ohne weiteres vermutet werden.[766]

Die Bank kann aber eine Bürgschaft des Ehegatten im Hinblick auf eine spätere Erbschaft vereinbaren, sofern sie zu erkennen gibt, welches Vermögen für sie Bedeutung besitzt. In diesem Falle darf sie jedoch Ansprüche gegen den finanziell nicht leistungsfähigen Bürgen vor Eintritt des Erbfalls nicht geltend machen.[767]

 

Rz. 910

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine krasse finanzielle Überforderung des Bürgen oder Mithaftenden bei "nicht ganz geringfügigen" Bankverbindlichkeiten dann vor, wenn dieser voraussichtlich nicht einmal die von den Darlehensvertragsparteien festgelegte Zinslast aus dem pfändbaren Teil seines laufenden Einkommens und Vermögens bei Eintritt des Sicherungsfalles dauerhaft allein tragen kann.[768]

Beispielsweise stellt ein Verbra...

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