Rz. 908

Eine Bürgschaft, die ein geschäftsunerfahrener Ehegatte oder Lebenspartner auf Veranlassung der Bank erteilt hat, ist nicht allein deshalb nichtig, weil zwischen dem Verpflichtungsumfang und der Leistungsfähigkeit des Bürgen ein grobes Missverhältnis besteht.[762]

Die Verpflichtung des Bürgen ist vielmehr erst dann unwirksam, wenn er durch weitere, dem Gläubiger zurechenbare Umstände in seinen berechtigten Interessen erheblich beeinträchtigt wird und so ein unerträgliches Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern entsteht. Solche Belastungen des Bürgen können sich insbesondere daraus ergeben, dass der Gläubiger dessen geschäftliche Unerfahrenheit oder eine seelische Zwangslage ausnutzt oder ihn auf andere Weise in seiner Entscheidungsfreiheit wesentlich beeinträchtigt.[763]

 

Rz. 909

Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Bürgen oder Mithaftenden ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt auf dem Grundbesitz des Bürgen ruhende dingliche Belastungen sind grundsätzlich wertmindernd zu berücksichtigen.[764]

Bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages ist zu prüfen, ob der Bürge bei einer Prognose bezogen auf den Zeitpunkt der Inanspruchnahme aus der Bürgschaft die eingegangene Hauptverbindlichkeit aus eigenen Mitteln zumindest zu einem erheblichen Teil erfüllen kann.[765] Dies kann auch bei einem zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses selbstständig tätigen Zahnarzt nicht ohne weiteres vermutet werden.[766]

Die Bank kann aber eine Bürgschaft des Ehegatten im Hinblick auf eine spätere Erbschaft vereinbaren, sofern sie zu erkennen gibt, welches Vermögen für sie Bedeutung besitzt. In diesem Falle darf sie jedoch Ansprüche gegen den finanziell nicht leistungsfähigen Bürgen vor Eintritt des Erbfalls nicht geltend machen.[767]

 

Rz. 910

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine krasse finanzielle Überforderung des Bürgen oder Mithaftenden bei "nicht ganz geringfügigen" Bankverbindlichkeiten dann vor, wenn dieser voraussichtlich nicht einmal die von den Darlehensvertragsparteien festgelegte Zinslast aus dem pfändbaren Teil seines laufenden Einkommens und Vermögens bei Eintritt des Sicherungsfalles dauerhaft allein tragen kann.[768]

Beispielsweise stellt ein Verbraucherdarlehen über knapp 13.000 EUR einen "nicht ganz geringfügigen Bankkredit"dar.[769]

 

Rz. 911

Bei der Untersuchung, ob eine krasse Überforderung im Rahmen der Mithaftung vorliegt, bestimmt sich der Verpflichtungsumfang, dem die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mithaftenden gegenüber zu stellen ist, sowohl nach dem Nominalwert der mitübernommenen Hauptschuld, als auch nach der gesamten, den Mitschuldner treffenden Belastung. Da nämlich eine Mithaftung die vom Kreditnehmer geschuldeten Zinsen ohne weiteres mit umfasst, kann eine Grenze für das Vorliegen einer krassen finanziellen Überforderung nicht ohne Berücksichtigung anfallender Zinsen festgelegt werden.[770]

 

Rz. 912

Der Grund dafür, ein krasses Missverhältnis jedenfalls dann anzunehmen, wenn noch nicht einmal die Zinsen ganz aufgebracht werden können, liegt darin, dass – bei Eintritt des Sicherungsfalls – die Bürgschaftsverpflichtung zu einer ausweglosen lebenslangen Überschuldung führt, da die Hauptforderung nicht getilgt wird und die Zinsforderung immer weiter anwächst.[771] Nach der Wertung des § 138 BGB ist es den Kreditinstituten grundsätzlich untersagt, eine erkennbar finanziell überforderte Person über eine Mithaftungsabrede mit dem unternehmerischen Risiko ihres Ehepartners zu belasten und sie damit möglicherweise bis an ihr Lebensende zu ruinieren.[772] Sinn der genannten Rechtsprechung ist es somit, den Bürgen oder Mithaftenden vor einer lebenslangen Überschuldung zu schützen.[773] Dagegen kommt es für die Frage der krassen finanziellen Überforderung nicht darauf an, ob es sich um einen Konsumenten oder um einen Betriebsmittelkredit handelt.[774]

 

Rz. 913

Bei Höchstbetragsbürgschaften, bei denen sich die Haftung für Nebenforderungen lediglich nach der Bürgschaftssumme und nicht nach der höheren Hauptschuld richtet, ist Maßstab der krassen finanziellen Überforderung des dem Hauptschuldner persönlich besonders nahe stehenden Bürgen die vertragliche Zinslast aus der Bürgschaftssumme und nicht aus der höheren Hauptschuld.[775]

 

Rz. 914

Ein Interesse des Kreditgebers, sich durch einen wirtschaftlich sinnlosen Bürgschafts- oder Mithaftungsübernahmevertrag vor Vermögensverschiebungen zwischen Eheleuten zu schützen, vermag die Sittenwidrigkeit grundsätzlich nur bei einer ausdrücklichen Haftungsbeschränkung zu vermeiden.[776] Der bürgende Ehegatte soll also ausdrücklich erst dann in Anspruch genommen werden, wenn tatsächlich eine Vermögensverlagerung durch den Ehegatten auf den Bürgen stattfindet.[777]

 

Rz. 915

Die von einem finanziell überforderten Ehegatten auf Verlangen der Bank übernommene Bürgschaft oder Mithaftung ist ohne Hinzutreten besonders belastender Umstände nichtsittenwidrig, wenn der dem anderen Ehegatten allein gewä...

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