Rz. 922

Trotz krasser finanzieller Überforderung des Bürgen oder Mithaftenden ist eine Sittenwidrigkeit ausnahmsweise nicht gegeben, wenn ein erheblicheswirtschaftliches Eigeninteresse des Bürgen oder Mithaftenden an der Kreditgewährung vorliegt oder wenn sich die Bürgschaft oder Mithaftung aus Sicht der Bank als wirtschaftlich sinnvoll darstellt.

a) Eigeninteresse des Bürgen oder Mithaftenden

 

Rz. 923

Von einer Sittenwidrigkeit eingegangener Kreditverträge kann nicht ausgegangen werden, wenn der in Anspruch genommene Ehegatte aufgrund der Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft selbst ein eigenes sachliches und persönliches Interesse an der Eingehung der Verbindlichkeit hat.

Ein solcher Fall ist gegeben, wenn der Ehemann die Tankstelle zu 90 % selbst betrieben und er daher ein eigenes Interesse an der Eingehung des Tankstellenverwalter- bzw. Agenturvertrages hatte.[793]

Nach diesen Grundsätzen ausnahmsweise auch nicht sittenwidrig sind Bürgschaftserklärungen von GmbH-Gesellschaftern für Verbindlichkeiten der GmbH. Hier kann allgemein davon ausgegangen werden, dass die Beteiligung an der Gesellschaft aus eigenem finanziellen Interesse erfolgt und die Bürgschaft für den betreffenden Gesellschafter kein unzumutbares Risiko darstellt.[794] Nur bei unbedeutenden Bagatell- und Splitterbeteiligungen kann nach dem Schutzgedanken des § 138 Abs. 1 BGB eine andere rechtliche Beurteilung in Betracht kommen. Eine Beteiligung des Bürgen in Höhe von 10 % an der darlehensnehmenden GmbH ist nicht unbedeutend.[795] Entsprechend gelten die entwickelten Grundsätze zur Sittenwidrigkeit von Mithaftung und Bürgschaft finanziell überforderter Angehöriger nicht für Kommanditisten einer KG, die für Verbindlichkeiten der KG die Mithaftung oder Bürgschaft übernehmen.[796]

 

Rz. 924

Etwas anderes gilt, wenn GmbH-Gesellschafter oder Kommanditist ausschließlich Strohmannfunktion haben, die Mithaftung oder Bürgschaft nur aus emotionaler Verbundenheit mit der hinter ihnen stehenden Person übernehmen und beides für die kreditgebende Bank evident ist.[797]

 

Rz. 925

Behauptet der Bürge, der als Mehrheitsgesellschafter oder Geschäftsführer die Haftung für die Gesellschaftsschulden übernommen hat, dies sei ohne eigenes wirtschaftliches Interesse allein aus enger persönlicher Verbundenheit zu einem Dritten geschehen, hat er sowohl diese Tatsache als auch die Kenntnis des Gläubigers davon zu beweisen. Weder aus der krassen finanziellen Überforderung des Bürgen noch aus dessen emotionaler Verbundenheit mit der die Gesellschaft wirtschaftlich beherrschenden Person folgt eine tatsächliche Vermutung zu Lasten des Kreditgebers.[798]

[794] BGH, Urt. v. 25.4.2006 – XI ZR 330/05, FamRZ 2006, 1024.
[795] BGH, Urt. v. 16.1.1997 – IX ZR 250/95, NJW 1997, 1980.

b) Interesse der Bank am Schutz vor Vermögensverschiebungen

 

Rz. 926

Ausnahmsweise vermag ein Interesse des Kreditgebers, sich durch einen – an sich wirtschaftlich sinnlosen – Bürgschafts- oder Mithaftungsübernahmevertrag vor Vermögensverschiebungen zwischen Eheleuten zu schützen, die Annahme einer Sittenwidrigkeit zu vermeiden. Unabdingbare Voraussetzung hierfür ist jedoch die Aufnahme einer diesbezüglichen ausdrücklichen Haftungsbeschränkung. Das gilt auch für eine vor dem 1. Januar 1999 übernommene Bürgschaft.[799] Somit haben die Kreditinstitute in ihren Formularverträgen eine Klausel des Inhaltes aufzunehmen, dass eine Bürgschaftsverpflichtung nur für den Fall und in dem Umfang entstehe, in dem es zu Vermögensverschiebungen zwischen dem Kreditnehmer und der Bürgin kommt.[800]

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