Rz. 626

Der Erbe haftet für die innerhalb eines Zeitraumes von zehn Jahren seit dem Erbfall erbrachten Sozialhilfeaufwendungen nach § 102 Abs. 2 S. 2 SGB XII mit dem Wert des im Zeitpunkt des Erbfalles vorhandenen Nachlasses. Der Wert des Nachlasses wird im Sinne von § 2311 BGB verstanden, also der Norm, nach der der Pflichtteil berechnet wird. Der Bestand des Nachlasses ergibt sich aus der Differenz zwischen den in Geld zu veranschlagenden Aktiva und den Passiva im Zeitpunkt des Erbfalls.[1033] Eine (bereits titulierte) Forderung gegen den Erblasser, z.B. aus den Kosten eines Pflegeheimes, ist deshalb abzuziehen.[1034]

Wertminderungen nach dem Tag des Erbfalls sind rechtlich unerheblich. Die Haftung erlischt deshalb auch nicht dadurch, dass der Nachlass oder Teile hiervon bereits vor der Geltendmachung des Regressanspruchs verbraucht oder veräußert wurde. Der Einwand des Wegfalls der Bereicherung ist nicht möglich.[1035]

Eine Haftung des Erben aus eigenen Mittel kommt nicht in Betracht.

[1033] BVerwG v. 23.9.1982 – Az.: 5 C 109.81, BVerwGE 66, 161 ff.
[1034] LSG NRW v 20.7.2017 – Az.: L 9 SO 240/16, openJur 2019, 24964.
[1035] OVG Sachsen v. 23.3.2006 – Az.: 4 E 318/05, ErbR 2006, 59; VG Bremen v. 10.2.2012 – Az.: 5 K 518/04, NJW-Spezial 2012, 2011 f.

aa) Verbindlichkeiten aus lebzeitigen Pflegevereinbarungen

 

Rz. 627

Zu den für die Wertberechnung erheblichen Nachlassverbindlichkeiten gehören zunächst die unmittelbar vom Erblasser herrührenden Schulden (§ 1967 BGB Erblasserverbindlichkeiten).

 

Rz. 628

 

Fallbeispiel 48: Die lebzeitige Pflegeverpflichtung

A ist Alleinerbe nach seiner Mutter, in deren Nachlass sich lediglich eine Immobilie befindet, die sie bis zuletzt bewohnt hat. Er macht geltend, seine Ehefrau habe die Mutter, die Sozialhilfeleistungen wegen fehlender liquider Mittel erhalten habe, 35 Stunden pro Woche gepflegt im Hinblick darauf, dass das von ihr bewohnte und deshalb sozialhilferechtlich geschonte Haus ihm und seiner Familie später zum Wohnen dienen sollte. Der "Rohnachlass" vermindere sich deshalb um das ihr geschuldete Entgelt für Pflege, hilfsweise sei eine besondere Härte anzunehmen.

Eine solche Verbindlichkeit kann sich z.B. daraus ergeben, dass das Entgelt für eine vereinbarte Dienstleistung noch nicht bezahlt wurde und seine Fälligkeit auf den Tod aufgeschoben wurde.

 

Rz. 629

Falllösung Fallbeispiel 48:

Ein Entgelt für geleistete Pflege setzt zum einen eine wirksame Vereinbarung über entgeltliche Pflege voraus. Innerhalb des Familienverbandes wird dem häufig entgegengehalten, dass die Pflege von Eltern durch ihre Kinder eine Erfüllung gesetzlicher (Unterhalts-)pflichten darstelle, zumindest handele es sich um eine sittliche Verpflichtung von Kindern (§ 1618a BGB) im Solidarsystem "Familie". Dem stehe die Vereinbarung eines Entgeltes für Pflege entgegen.

Das ist unzutreffend. Der Bedarf an Pflege ist ein unterhaltsrechtlicher (Mehr-)Bedarf. Nur bedürftige Eltern haben gegenüber leistungsfähigen Kindern einen Anspruch darauf, dass ihr ungedeckter Bedarf an Pflege unterhaltsrechtlich gedeckt wird. Ungedeckter Elternunterhalts(pflege)bedarf ist nach § 1612 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich in der Form von Barunterhalt zu decken. Einen unterhaltsrechtlichen Anspruch auf persönliche Betreuung – so der BGH in anderem Kontext – haben nicht einmal minderjährige Kinder,[1036] Volljährige dementsprechend erst recht nicht.[1037] Die Rechtsprechung hat im Rahmen des Elternunterhaltes bis heute auch niemals nur ansatzweise eine Naturalunterhaltsverpflichtung im Rahmen von §§ 1603, 1612 BGB für Kinder diskutiert.[1038] Auch aus § 1619 BGB und § 1618a BGB kann keine Pflicht zum Naturalunterhalt auf Pflege konstruiert werden, die es in §§ 1603, 1612 BGB so ausdrücklich nicht gibt.

 

Rz. 630

Außerdem müssen auch nur leistungsfähige Kinder bedürftigen Eltern Barunterhalt leisten. Die Rechtsprechung verneint deshalb zu Recht ein familienrechtliches Abschlussverbot für entlohnende Dienstverträge. Der Annahme eines Dienstvertrages steht auch nicht entgegen, dass die Vergütung statt in laufenden Zahlungen in einer einmaligen auf den Tod aufgeschobenen entgeltlichen Zuwendung besteht.[1039] Eine entgeltliche Pflegevereinbarung, die zur Minderung des Nachlasses führt, ist daher grundsätzlich möglich.

Die alles entscheidende Frage ist aber, ob zwischen dem Empfänger und dem Leistenden eine tatsächliche Willenseinigung über die Entgeltlichkeit der Pflege erzielt wird. Eine solche Einigung ist stillschweigend möglich. Ggf. bestehen auch ohne ausdrückliche Vereinbarungen Reparaturmöglichkeiten, um eine Gegenleistung für die Pflege beanspruchen zu können, und zwar ggf. über das Rechtsinstitut der fehlgeschlagenen Vergütungsvereinbarung und den Bereicherungsausgleich wegen Zweckverfehlung. § 612 BGB ersetzt aber nicht die Einigung über die Entgeltlichkeit an sich, sondern setzt sie voraus. Die Einigung über die Entgeltlichkeit ist auch beim Bereicherungsausgleich wegen Zweckverfehlung nicht entbehrlich. Werden also z.B. im Hinblick auf eine erhoffte Erbeinsetzung Pflegeleistungen erbracht und ...

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