Rz. 383

Die Möglichkeit der Darlehensgewährung im SGB XII ist begrenzt und stellt ein Mittel dar, um Zeiten, in denen Mittel noch nicht bedarfsdeckend zur Verfügung stehen, zu überbrücken oder Verhalten des Hilfesuchenden, das gegen den Nachranggrundsatz verstößt, mit dem Prinzip der Menschenwürde in Übereinklang zu bringen, aber nicht zu belohnen.

Die Darlehensgewährung an den Anspruchsteller ist nur aufgrund einer spezialgesetzlichen Rechtsgrundlage zulässig. Dazu gehören im SGB XII:

das ergänzende Darlehen nach § 37 SGB XII
das Darlehen bei vorübergehender Notlage nach § 38 SGB XII
das Darlehen im Rahmen der "Soweit"-Prüfung des § 90 Abs. 3 SGB XII für Vermögen
das Darlehen nach § 91 SGB XII.

Die Rechtsprechung hat überdies die im SGB XII vorgesehenen Möglichkeiten der Gewährung von Darlehen anstelle von nicht zurückzahlbaren Zuschüssen im Lichte der Strukturprinzipien des SGB XII begrenzt, weil nach der Entstehungsgeschichte des BSHG bzw. des SGB XII und nach dessen Normen es nicht zulässig ist, Sozialhilfe ganz allgemein in Form eines Darlehens zu gewähren.[636]

[636] BVerwG v. 17.10.1974 – Az.: V C 50.73, BVerwGE 47, 103 Rn 24; BVerwG v. 14.5.1969 – Az.: V C 167.67, BVerwGE 32, 89 Rn 21 f., Rothkegel, Sozialhilferecht, Kapitel 7 Rn 2.

1. Darlehen bei vorzeitig verbrauchten Mitteln möglich – § 37 SGB XII?

 

Rz. 384

§ 37 SGB XII ermöglicht Darlehensleistungen, wenn ein von den Regelbedarfen umfasster Bedarf nicht gedeckt werden kann. § 37 SGB XII gilt nach § 42 Nr. 5 SGB XII für Leistungen der Grundsicherung entsprechend. Die Bedarfsdeckung muss unabweisbar geboten sein und auf keine andere Art gedeckt werden können.

Die Tendenz, Mittel aus Erbfall, Schenkung oder sonstigen Zuflüssen zu "verprassen",[637] ist in der Praxis aus nachvollziehbaren Gründen gegeben. Aufgrund des Bedarfsdeckungs- und des Faktizitätsprinzips muss der "Verschwender" bei vorzeitigem Verbrauch trotz alledem Sozialhilfeleistungen erhalten.[638] Das gilt auch für denjenigen Leistungssuchenden, dem Mittel beim Zufluss nicht mehr in voller Höhe zur Verfügung stehen, weil die Bank ein überzogenes Konto ausgleicht und eine neue Überziehung nicht mehr zulässt. Fraglich ist, ob für diese Fälle die erneut zu erbringende Hilfe nur darlehensweise erfolgen kann. Oder muss einem Erben, der das Vermögen schlicht ausgegeben hat, noch einmal zuschussweise geleistet werden?

 

Rz. 385

§§ 37,38 SGB XII erfassen diesen Sachverhalt nicht und scheiden aus. Nach einer Auffassung in der Literatur soll in einem solchen Fall nur darlehensweise geleistet werden.[639] Das BSG lehnt dies ab und geht von Zuschussleistungen mit nachfolgenden Kostenersatzansprüchen aus.[640] Die Entscheidung ist allerdings zum SGB II ergangen und das BSG hat ausgeführt, dass beim "Verprassen" von Mitteln kein Fall von Darlehensgewährung bei zu erwartendem Einkommen vorliege. Deshalb müsse die Leistung als Zuschuss erbracht werden. Die Auffassung des BSG ist auch auf die Fälle des SGB XII übertragbar, da es keine Norm im SGB XII gibt, die für einen solchen Fall ausdrücklich Darlehensleistungen anordnet. Diese Fallgestaltung ist damit bei nochmaliger Leistung eine typische Fallgestaltung für den Sozialhilferegress in der Form des § 103 SGB XII. Eine Darlehensregelung bei vorzeitigem Verbrauch von Einmalzuflüssen wie in § 24 Abs. 4 S. 2 SGB II kennt das SGB XII nicht.

Für Fragen, wie sie sich ansonsten typischerweise im Zusammenhang mit Schenkung und Mitteln aus Erbfall stellen, spielen die Darlehensmöglichkeiten nach §§ 37, 38 SGB XII keine Rolle.

[637] Vgl. z.B. aus dem SGB II, aber übertragbar: BSG v. 12.12.2013 – Az.: B 14 AS 76/12R, Rn 12.
[638] Zum SGB II, aber übertragbar: BSG v. 12.12.2013 – Az.: B 14 AS 76/12 R, info also 2014, 179 Rn 12; LSG Sachsen-Anhalt v. 20.8.2014 – Az.: L 4 AS 273/14 B ER, NZS 2014, 875; Bieritz-Harder/Conradis/Thie/Geiger, LPK-SGB XII, § 90 Rn 11, 47.
[639] Berlit/Conradis/Pattar/Pattar, Existenzsicherungsrecht, Kapitel 10 Rn 28.

2. Bei kurzfristig nicht zu verbrauchendem oder zu verwertendem Vermögen (§ 91 SGB XII)

 

Rz. 386

Hauptanwendungsfall der Darlehensgewährung in der Praxis ist § 91 SGB XII. Dazu ist vorab eine systematische Ein- und Zuordnung von § 91 SGB XII notwendig. Ausgangspunkt der Fragen zur Darlehensgewährung bei Erbfall und Schenkung ist die Antwort auf die Frage, warum dem Hilfesuchenden keine "bereiten" Mittel zur Verfügung stehen. Fehlt es an Einkommen? Oder fehlt es an Möglichkeiten zum Einsatz oder zur "Versilberung" des Vermögens?

Eine ausdrückliche Darlehensregelung, die angewendet werden könnte, wenn Einkommen nicht zur Verfügung steht, kennt das SGB XII – wie zuvor ausgeführt – nicht. Sie würde auch nicht zur Theorie des BSG passen, dass alles, was im Bedarfszeitraum zufließt, Einkommen ist. Die Qualifizierung einer "Erbschaft" als Einkommen oder Vermögen – je nach Erbfall- und Bedarfszeitpunkt – führt dazu, dass eine Erbschaft Einkommen, aber zumindest vorübergehend nicht verwertbar sein kann. Die Anwendung der Vorschriften der §§ 82 ff. SGB XI...

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