Rz. 448

§ 93 Abs. 1 S. 3 SGB XII regelt, dass der Übergang des Anspruches nur insoweit bewirkt werden darf, als bei rechtzeitiger Leistung des Dritten die Leistung entweder nicht erbracht worden wäre oder in den Fällen des § 19 Abs. 5 SGB XII Aufwendungsersatz oder ein Kostenbeitrag zu leisten gewesen wäre. Diese Begrenzung versteht sich vor dem Hintergrund, dass § 93 SGB XII der (Wieder-)herstellung des Nachrangs dient. Sie ist der Dreh- und Angelpunkt der Prüfung. Hier muss man den kompletten Sozialhilfeanspruch fiktiv prüfen:

Zunächst muss unterstellt werden, dass der Anspruch im Zeitpunkt der Überleitung erfüllt worden wäre, also "bereite" Mittel zur Verfügung gestanden hätten.
Dann muss danach differenziert werden, ob es sich bei dem gedachten Zufluss um bedarfsdeckungsgeeignetes Einkommen oder Vermögen handeln würde
Dann müssen alle vorstehend dargestellten Einkommens- und Vermögens-Schontatbestände (also z.B. auch die Einkommensverschonung nach § 87 SGB XII) ins Visier genommen werden, denn nur dann, wenn auch sämtliche Schontatbestände verneint werden, kann § 93 SGB XII greifen.

Es muss also gefragt werden: Wie hätte sich die Situation entwickelt, wenn der Dritte rechtzeitig geleistet hätte?

 

Rz. 449

 

Fallbeispiel 36: Mach Schonvermögen draus!

Der Ehegatte E lebt wegen Pflegebedürftigkeit in einer Heimeinrichtung; die Ehefrau F zu Hause in einer Immobilie, die die Anforderungen des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII erfüllt. Mittel zur Finanzierung der Heimkosten stehen ihnen nicht zur Verfügung.

Die Ehegatten haben die Immobilie, die in ihrem Miteigentum stand, wenige Monate vor Heimaufnahme – belastet mit einem lebenslangen Wohnungsrecht für die daheimgebliebene F – an ihren Sohn S verschenkt. Der Sozialhilfeträger will den Schenkungsrückforderungsanspruch überleiten. Der Sohn will die ganze Immobilie zurückgeben, denn dann handele es sich ja um Schonvermögen der Eltern. Ist das richtig?

 

Rz. 450

Grundsätzlich kann ein Eigentümer mit seinem Immobilienvermögen machen, was er will. Kurz vor Heimaufnahme ist die Antwort des Sozialhilferechtes darauf eindeutig:

Wer verkauft, hat einen Verkaufserlös, der als Einkommen nach § 82 Abs. 7 SGB XII eingesetzt werden muss und nach Ablauf des Verteilzeitraums immer noch verwertbares Vermögen ist, sofern nicht der Schutz des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII greift.

Wer verschenkt und die Zehn-Jahresgrenze des § 529 BGB bis zu seiner Bedürftigkeit nicht schafft, produziert dem Grunde nach einen Schenkungsrückforderungsanspruch. Rechtsfolge des § 528 BGB ist die Herausgabe des Geschenks nach den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung. Dabei wird nicht der gesamte Schenkungsvorgang umgestoßen, sondern der Anspruch richtet sich auf Herausgabe dessen, was der Schenker zur Beseitigung seiner Bedürftigkeit benötigt. Das ist unproblematisch, sofern die Herausgabe des Geschenkes in natura möglich ist.

Wird aber z.B. eine Immobilie verschenkt, so richtet sich der Schenkungsrückforderungsanspruch – sofern der Notbedarf des Bedürftigen den Wert der Immobilie nicht erreicht– nicht auf die Rückgabe der gesamten Immobilie, sondern nur auf den Wert, der dem ungedeckten Unterhaltsbedarf entspricht und sozialhilferechtlich nur auf die tatsächlich erbrachten Sozialleistungen.

 

Rz. 451

Die Umwandlung in einen Wertersatzanspruch führt in erster Linie dazu, dass der Beschenkte sich nach der Rechtsprechung nicht darauf berufen kann, dass der geschenkte Gegenstand in der Hand der Beschenkten Schonvermögen gewesen wäre. Die Rechtsprechung hat wiederholt entschieden, dass es darauf nicht ankommt;[753] der Rückgewähranspruch werde nicht durch Schonvermögenstatbestände, wie sie in § 90 Abs. 2 SGB XII geregelt seien, begrenzt.[754]

Andererseits hat der BGH entschieden, dass der Beschenkte statt eines Wertersatzes auch berechtigt sei, den geschenkten Gegenstand vollständig zurückzugeben und sich damit von dem Wertersatzanspruch zu befreien.[755] Damit stellt sich die Frage neu: Wie hätte sich die Situation entwickelt, wenn der Beschenkte das Geschenk in natura rechtzeitig zurückgegeben hätte? Hätte die Rückgabe des Geschenkes dann zu Einkommen im Sinne des § 82 SGB XII oder zu Vermögen im Sinne des § 90 SGB XII geführt und hätte der Sozialhilfeträger dann nicht leisten müssen? Oder hätte sich ein Schontatbestand gefunden?

aa) Herausgabe des Geschenks – Wiedererlangung der Schonvermögensqualität?

 

Rz. 452

In einer alten Entscheidung des BSG heißt es: "Einnahmen aus der Veräußerung von Erbschaftsgegenständen werden nicht zunächst für den Bezugsmonat zu Einkommen, sondern behalten den Charakter von Vermögen. Nichts anderes kann dann für evtl. Rückerstattungsansprüche des Klägers gegen seine Söhne nach §§ 528, 529 BGB gelten, die ohnedies gem. § 11 Nr. 1 AlhiV[756] nicht als Einnahmen gelten."[757] Das sol...

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