Rz. 8

Der Empfehlung Nummer 6 des Arbeitskreises II des 47. Deutschen Verkehrsgerichtstages 2009 folgend hat der Verein Deutscher Verkehrsgerichtstag – Deutsche Akademie für Verkehrswissenschaften e.V. – am 4. und 5.11.2009 ein Gremium aus Verkehrsrechtsexperten zusammengerufen, um eine Musterquotentabelle[12] zu erstellen. In diesem Gremium waren die Verbraucherzentrale Bundesverband e.V., der geschäftsführende Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im DAV, der ADAC, der GDV sowie die Allianz Versicherungs-AG vertreten. Die Teilnehmer kamen zu folgenden Ergebnissen:

 

Rz. 9

Verschuldensmaßstab

Im Zusammenhang mit der Festlegung des Grades der groben Fahrlässigkeit kann grundsätzlich auf die bisherige einschlägige Rechtsprechung Bezug genommen werden. Darüber hinaus kann aber deutlicher differenziert werden, wo es nach der bisherigen Rechtsprechung auf eine exakte Bewertung des Verschuldensgrades nicht ankam. Kriterien können sein:

Ordnungswidrigkeit oder Straftat
Verstoß gegen konkrete Ge- oder Verbote oder Verletzung allgemeiner Sorgfaltspflichten
Schädigung anderer Rechtsgüter (Mensch/Sachwerte)
Art und Maß staatlicher Sanktionen (Bußgeld/Strafe, Geld-/Haftstrafe, Fahrverbot/Entziehung der Fahrerlaubnis).
 

Rz. 10

Andere objektive Kriterien des objektiven Verschuldens können sein:

Körperliche Beeinträchtigungen/Behinderungen
Mitverschulden Dritter
Voraussehbare (nicht tatsächliche) Schadenshöhe
Dauer der Pflichtverletzung.
 

Rz. 11

Für den Verschuldensmaßstab sollen allerdings unmaßgeblich sein:

Wirtschaftliche Lage des Versicherungsnehmers
Vertragsgesichtspunkte (Geschäftsbeziehungen zwischen Versicherung und Versicherungsnehmer und Schadensverläufe).
 

Rz. 12

Auch einschlägige Vorstrafen oder Eintragungen im Verkehrszentralregister sollen für den Verschuldensmaßstab nicht berücksichtigt werden.

 

Rz. 13

Steigerung oder Verringerung des Verschuldensgrades können durch subjektive Umstände erfolgen:

Augenblicksversagen
Besondere Gründe der Ablenkung (psychische Situation, Kind im Fahrzeug, berufliche oder private Probleme)
Gesteigerte Risikobereitschaft.
 

Rz. 14

Die Experten sprachen sich für eine Doppelverwertung aus. Argumente, die zur Begründung oder Verneinung grober Fahrlässigkeit verwendet wurden, dürfen erneut in die Bemessung der Schuldschwere einfließen.

 

Rz. 15

Mehrfache Pflichtverletzungen sollen zur Bemessung der Schuldschwere eine wertende Gesamtbetrachtung erfordern.

 

Rz. 16

Will der Versicherer die Leistung kürzen, so muss er in Fällen der Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 81 VVG) die grobe Fahrlässigkeit und die zur Bemessung der Kürzungsquote berechtigende Schwere des Verschuldens darlegen und beweisen. Akzeptiert der Versicherungsnehmer diese Begründung nicht, hat er nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast.

 

Rz. 17

Verletzt der Versicherungsnehmer eine vertragliche Verpflichtung (§ 28 VVG), muss der Versicherer den Vorsatz beweisen. Ist kein Vorsatz gegeben, gilt die Vermutung grober Fahrlässigkeit. Der Versicherungsnehmer muss beweisen, dass sein Verhalten nicht grob fahrlässig war. Die Schwere des Verschuldens, die der Versicherer seiner Kürzung zugrunde legt, muss er beweisen.

 

Rz. 18

Die Experten bestätigen, dass der Grundsatz "Quote vor Regress" gilt.

Kriterien für die Bildung des unverbindlichen Orientierungsrahmens der Experten war nicht die Schwere des Verschuldens innerhalb der groben Fahrlässigkeit oder die Bedeutung des jeweiligen Verkehrsverstoßes für die Verkehrssicherheit. Einziger Maßstab war, in welchen häufig vorkommenden Fällen der Praxis eine ausgewogene, praktikable Orientierung gegeben werden kann. Dabei geben die Standardquoten mit ihrem Kürzungsrahmen in 25 %-Schritten keine exakte Kürzung vor. Sie schaffen lediglich einen Rahmen, innerhalb dessen ein der konkreten Schwere des Verschuldens angebrachte Kürzung gefunden werden muss.

 

Rz. 19

Die Experten sahen folgende Standardfälle für geeignet an, eine "Musterquote" zu definieren:

 
 
Fall Leistungskürzung in Prozent
   
Alkohol:  
ab 0,5 bis 1,0 ‰ 50
Drogen:  
drogenbedingte Fahruntüchtigkeit 50–100[13]
Fahren ohne gültige Fahrerlaubnis:  
Halter lässt Fahrzeug führen ohne die Fahrerlaubnis geprüft zu haben 25
gewerbliche Fahrt 0
Fahrt im privaten Bereich 25
Überfahren von Stoppschild/grünem Pfeil: 25
Rotlichtverstoß: 50
verkehrsunsichere Bereifung: 25
Diebstahl:  
Schlüssel bleibt im Fahrzeug stecken 75
sonstiger grob fahrlässiger Umgang mit Schlüsseln 25
[12] Vgl. Nehm, zfs 2010, 12 ff.
[13] Nachdem die Strafjustiz Probleme hat, für die unterschiedlichen Drogen und Konsumformen jeweils einen der alkoholisierten Fahrunsicherheit entsprechenden Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit verbindlich festzulegen, konnten die Experten innerhalb der Bandbreite einer Kürzungsquote von 50 bis 100 % keine feste Quote ermitteln.

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