A. Einleitung

 

Rz. 1

Die Digitalisierung von Wirtschaft und Arbeitswelt bietet Unternehmen und Arbeitnehmern zahlreiche Chancen. Unternehmen können mit der Digitalisierung und Vernetzung von Kommunikation, Einkaufs-, Produktions- und Vertriebsschritten die Abläufe im Betrieb produktiver und effizienter gestalten. Außerdem haben Unternehmen einfacheren und direkteren Zugang zu internationalen Märkten. Gleichzeitig ermöglichen moderne Kommunikationsmittel orts- und zeitflexibles Arbeiten, was eine neue Arbeitszeitorganisation zulässt. Das wird den Bedürfnissen von Betrieben und Beschäftigten bei der Gestaltung flexibler Arbeitszeiten entgegenkommen. Beschäftigte erhalten dadurch mehr Souveränität, um Beruf und Privatleben optimal zu vereinbaren.

Das digitale Arbeiten eröffnet Unternehmen und Arbeitnehmern viele Möglichkeiten, begegnet aber nach wie vor arbeitsrechtlichen Grenzen. Dies gilt insbesondere auch für das Arbeitszeitrecht. Unternehmen und Beschäftigte stoßen daher bei der Anwendung des ArbZG auf eine Reihe von Problemen, die nur durch eine gezielte Weiterentwicklung der gesetzlichen Regelungen gelöst werden können.[1]

Der Gesetzgeber hat seinerseits zwar erkannt, dass Handlungsbedarf besteht. Dieser Befund spiegelt sich auch im Weißbuch "Arbeiten 4.0" wieder, das das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach einem langwierigen "Dialogprozess" mit Vertretern der Sozialpartner, der Verbände und Experten aus Wissenschaft und Betrieben im November 2016 vorgelegt hatte.[2] Der Diskussion um zeit- und ortsflexibles Arbeiten "jenseits der Präsenzkultur" wird im Weißbuch "Arbeiten 4.0" breiter Raum eingeräumt.[3]

 

Rz. 2

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode hatte zwar die Chancen der Digitalisierung in den Blick genommen.[4] Die für das Arbeitszeitrecht konkret vorgesehenen Maßnahmen waren jedoch spärlich. Über eine Tariföffnungsklausel im ArbZG sollten "Experimentierräume" für tarifgebundene Unternehmen geschaffen werden, um eine Öffnung für mehr selbstbestimmte Arbeitszeit der Arbeitnehmer und mehr betriebliche Flexibilität in der zunehmend digitalen Arbeitswelt zu erproben. Auf Grundlage dieser Tarifverträge sollte mittels Betriebsvereinbarungen insbesondere die Höchstarbeitszeit wöchentlich flexibler geregelt werden können.[5] Selbst diesen Minimalfortschritt im Arbeitszeitrecht hat der Gesetzgeber jedoch letztlich nicht umgesetzt.

Die betriebliche Praxis muss daher versuchen, trotz des engen gesetzlichen Korsetts die Möglichkeiten des geltenden Rechtsrahmens bestmöglich auszuschöpfen. Dabei sind neben dem ArbZG auch weitere Instrumente in Betracht zu ziehen, um die Arbeitszeitgestaltung an die Herausforderungen der Digitalisierung anzupassen.

[1] Vgl. Jacobs, NZA 2016, 733, 734; Krause, NZA 2016, 1004; Lüthge, AuA 2016, 712, 714 f; Baeck/Winzer, NZA 2020, 96.
[2] Weißbuch "Arbeiten 4.0", Hrsg.: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Stand: März 2017.
[3] Weißbuch "Arbeiten 4.0", Hrsg.: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Stand: März 2017, S. 73 ff.
[4] Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode vom 12.3.2018, S. 41.
[5] Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode vom 12.3.2018, S. 52.

B. Gestaltungsmöglichkeiten und Grenzen des ArbZG

 

Rz. 3

Das heute geltende ArbZG ist 1994 in Kraft getreten. Es löste die seit 1938 geltende Arbeitszeitverordnung ab und führte über verschiedene Gesetze und Verordnungen verstreute Regelungen zusammen. Zweck des ArbZG ist es, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zu gewährleisten und die Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten zu verbessern (§ 1 Nr. 1 ArbZG) sowie den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung der Arbeitnehmer zu schützen (§ 1 Nr. 2 ArbZG).

 

Rz. 4

Die Möglichkeit, dass die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer mittels Smartphone, Laptop oder Internettelefonie zu jeder Zeit und an jedem Ort erbracht werden kann, konnte der Gesetzgeber zu diesem Zeitpunkt nicht berücksichtigen. Vielmehr geht das ArbZG vom "klassischen Arbeitszeitmodell" aus, wonach der Arbeitnehmer von 9 bis 17 Uhr im Betrieb anwesend ist. Dieser "Nine-to-five-Job" ist im Zuge der Digitalisierung insofern vielfach zum Auslaufmodell geworden, als Arbeitnehmer ihre tägliche ­Arbeitszeit oftmals nicht mehr am Stück erbringen, sondern über den Tag oder über die Woche verteilt, mit Unterbrechungen und mit unterschiedlichen Arbeitszeiten von Tag zu Tag. Das führt dazu, dass z.B. abends oder am Wochenende von zu Hause aus E-Mails bearbeitet und Arbeitsaufträge für den nächsten Tag vorbereitet werden.

 

Rz. 5

Mit den auf das "klassische Arbeitszeitmodell" ausgerichteten Vorgaben des ArbZG geraten solche Arbeitszeitgestaltungen zwangsläufig in Konflikt. Nicht alle davon sind nach heute geltendem Recht aufzulösen. Das digitale Arbeiten begegnet also nach wie vor arbeitsrechtlichen Grenzen. Dies gilt insbesondere auch für das Arbeitszeitrecht. Trotzdem gibt es im ArbZG Gestaltungsmöglichkeiten, um die Arbeitszeitgestaltung an Arbeiten 4.0 anzu...

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