Rz. 107

Nach § 104 Abs. 1 SGB VII sind Unternehmer den Versicherten, die für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen, die Versicherung begründenden Beziehung stehen, sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1–4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben.

 

Rz. 108

An der Formulierung "den Versicherten" lässt sich dabei im Gegensatz zu der Altregelung des § 636 RVO erkennen, dass der Gesetzgeber sämtliche Personen in den Schutz der Haftungsbeschränkung aufnehmen wollte, die für das Unternehmen oder den Unternehmer tätig geworden sind oder zu dem Unternehmen in einer sonstigen, die Versicherung begründenden Beziehung gestanden haben.

 

Rz. 109

Der Unfallvorgang muss dem Stammbetrieb des Schädigers zuzuordnen sein. Der Geschädigte muss in diesen Betrieb eingegliedert sein.

 

Rz. 110

Die Haftungsbeschränkung gilt nunmehr zugunsten aller Personen, die als gesetzlich Unfallversicherte für das Unternehmen tätig werden, unabhängig vom Umfang ihrer Tätigkeit. Dazu gehören beispielsweise auch die nur vorübergehend arbeitnehmerähnlichen Tätigkeiten im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB VII, z.B. die unentgeltliche Mithilfe beim Ab- oder Beladen eines Kraftfahrzeugs, Reparaturarbeiten und Pannenhilfe an einem Kraftfahrzeug, z.B. durch Anschieben (OLG Oldenburg VersR 2016, 461), oder auch Mithilfe in Haus und Garten.

 

Rz. 111

Auch nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII bleibt bei vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalls die Verpflichtung des Unternehmers zum Ersatz des Personenschadens erhalten, eine Vorschrift, die allerdings im Verkehrsrecht praktisch keine Bedeutung hat.

 

Rz. 112

Zu der nach bisherigem Recht bedeutsamen Ausnahmeregelung der Teilnahme am allgemeinen Verkehr stellen die Vorschriften der §§ 104, 105 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 1–4 SGB VII neue Maßstäbe auf.

 

Rz. 113

Entscheidend ist nunmehr, ob der Unternehmer oder ein im Unternehmensbereich Tätiger den Versicherungsfall auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1–4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt hat.

 

Rz. 114

Solche Wege sind gem. § 8 Abs. 2 SGB VII:

das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (Nr. 1),
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der versicherten Tätigkeit abweichenden Weges, um Kinder von Versicherten, die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer oder ihrer Ehegatten beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen (Nr. 2a) oder
mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen (Nr. 2b),
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen, die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, dass die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten fremder Obhut anvertraut werden (Nr. 3),
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben (Nr. 4).
 

Rz. 115

Beabsichtigt war nach der neuen Gesetzeslage, die Haftungsbeschränkung zugunsten des Unternehmers nicht mehr wie früher nur bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr entfallen zu lassen, sondern stattdessen bei allen sog. Wegeunfällen, selbst dann, wenn auf dem Weg zur oder von der Arbeit ein Umweg im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 SGB VII gemacht oder eine Wochenend-Familienheimfahrt nach § 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII durchgeführt wurde (BT-Drucks 13/2204, S. 100).

 

Rz. 116

 

Beispiel

Ein Angestellter arbeitet beim Unternehmer und wohnt in einer bestimmten Stadt. Da auch der Unternehmer in der gleichen Stadt wohnt, nimmt er abends den Angestellten nach von diesem geleisteten Überstunden in seinem Kraftfahrzeug mit nach Hause, wobei der Sohn des Angestellten bei der Tagesmutter abgeholt wird. Auf der Heimfahrt verschuldet der Unternehmer einen Verkehrsunfall, bei dem der Angestellte und dessen Sohn verletzt werden.

 

Rz. 117

Nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII haftet der Unternehmer und seine KH-Versicherung für die unfallbedingt entstandenen Personenschäden des Angestellten, ohne sich auf eine Haftungsbeschränkung nach § 104 SGB VII berufen zu können, wenn es sich bei dem Schaden um einen Wegeunfall des Geschädigten handelt.

 

Rz. 118

Nach alter Rechtslage wurde in diesem Fall eine Teilnahme am allgemeinen Verkehr verneint, da der Angestellte sich auf einem Dienstweg, nämlich auf der Heimfahrt von der Arbeitsstelle nach Hause im Pkw des Unternehmers befand. Demzufolge wurden die Voraussetzungen der Haftungsbeschränkung des § 636 RVO bejaht (BGH NJW 1976, 673; OLG Karlsruhe VersR 1958, 100).

 

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