Rz. 183

Die nachfolgenden Entscheidungen sind noch unter Berücksichtigung des VVG 1908 ergangen, als die grobe Fahrlässigkeit wie der Vorsatz zur vollständigen Leistungsfreiheit des Versicherers führte ("Alles- oder Nichts-Prinzip"). Wegen dieser strengen Rechtsfolge dürfte der Sachverhalt, der den entschiedenen Fällen zugrunde liegt, auch in Zukunft dazu führen, dass grobe Fahrlässigkeit bejaht wird. Nur bei der Quotenbildung sind die Besonderheiten eines jeden Einzelfalls zu berücksichtigen.

1. Alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit

 

Rz. 184

Absolute Fahruntüchtigkeit (ab 1,1 Promille) begründet generell den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit,[208] selbst wenn die Unfallsituation auch von einem nüchternen Fahrer nicht zu meistern gewesen wäre.[209]
Bei relativer Fahruntüchtigkeit (ab 0,3 bis 1,09 Promille) müssen weitere Umstände hinzutreten und vom Versicherer bewiesen werden, die den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit und die Kausalität für das Unfallgeschehen begründen;[210] auch bei 0,7 Promille kann relative Fahruntüchtigkeit vorliegen.[211]
Eine Blutalkoholkonzentration von 0,65 Promille führt zur Leistungsfreiheit wegen grober Fahrlässigkeit, wenn ein alkoholbedingter Fahrfehler vorliegt;[212] dies gilt ebenso bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,85 Promille.[213]
Beruft sich der Versicherungsnehmer auf Schuldunfähigkeit (§ 827 BGB), ist der Versicherungsnehmer beweispflichtig;[214] ein Alkoholwert von 3 Promille führt nicht zwangsläufig zur Schuldunfähigkeit.[215]
Unzurechnungsfähigkeit des Versicherungsnehmers führt zur Leistungsfreiheit des Versicherers nach § 81 VVG, wenn der Versicherungsnehmer sich vorsätzlich betrunken hat und er zu einem Zeitpunkt, als er noch zurechnungsfähig war, zumindest damit rechnen musste, dass er noch fahren werde und wenn trotzdem keine geeigneten Vorkehrungen getroffen worden sind, um dieses zu verhindern. § 827 BGB ist entsprechend anzuwenden.[216]
[208] BGH VersR 1991, 1367; OLG Hamm VersR 1991, 539; OLG München r+s 1991, 189; OLG Köln r+s 1994, 329; OLG Köln SP 1996, 397.
[209] OLG Düsseldorf r+s 2000, 445 = NVersZ 2001, 24.
[210] OLG Karlsruhe zfs 1986, 309; OLG Köln VersR 1986, 229; OLG Hamm r+s 1989, 6; OLG Karlsruhe zfs 1993, 161.
[211] KG NZV 1996, 200 = zfs 1996, 421; OLG Köln zfs 1999, 199; Hanseatisches OLG SP 2000, 209; OLG Düsseldorf r+s 2000, 362; OLG Koblenz r+s 2002, 498; OLG Saarbrücken, 5 U 698/05, NZV 2009, 340.
[212] OLG Karlsruhe zfs 2002, 241; OLG Hamm r+s 2003, 188 = NZV 2003, 522.
[213] OLG Koblenz DAR 2002, 217.
[214] BGH VersR 2003, 1561 = SP 2004, 20.
[215] OLG Hamm r+s 1992, 42; OLG Hamm r+s 1998, 10; OLG Frankfurt VersR 2000, 883; OLG Saarbrücken zfs 2003, 597.
[216] OLG Hamm r+s 2001, 55 = SP 2001, 134 = zfs 2001, 119.

2. Fahrzeugschlüssel

 

Rz. 185

Fahrzeugschlüssel müssen sorgfältig verwahrt werden und vor dem Zugriff unbefugter sicher sein.[217] Es wird daher in der Rechtsprechung als grob fahrlässig mit der Folge der Leistungsfreiheit angesehen,

wenn ein Fahrzeugschlüssel im oder am Fahrzeug zurückgelassen wird, da hierdurch die Betätigung des Lenkradschlosses erleichtert wird;[218]
wenn der Schlüssel im Zündschloss steckt;[219]
wenn der Versicherungsnehmer einen werksseitig unter der Motorhaube deponierten Schlüssel in diesem Versteck belässt;[220]
wenn eine Jacke mit dem Fahrzeugschlüssel in einem für viele Gäste zugänglichen Raum (Grillfest) unbeaufsichtigt abgelegt wird;[221]
wenn eine Jacke mit Fahrzeugschlüsseln im Sattelraum eines Reiterhofes[222] oder im Umkleideraum einer Sportanlage[223] oder im Nebenraum eines Bordells[224] unbeaufsichtigt zurückgelassen wird;
wenn Fahrzeugschlüssel auf der Theke einer "randvollen Gaststätte" abgelegt werden;[225]
wenn Fahrzeugschlüssel in einer Jacke auf einem Barhocker zurückgelassen werden[226] oder in der Jacke, die in der Garderobe einer Gaststätte aufgehängt wird;[227]
wenn nach Diebstahl der Autoschlüssel das Fahrzeug in der Nähe der Diskothek ungesichert zurückgelassen wird, in welcher der Schlüsseldiebstahl erfolgte;[228]
wenn die Ehefrau des Versicherungsnehmers den Zweitschlüssel in einer Handtasche aufbewahrt und diese unter dem Beifahrersitz liegen lässt;[229]
wenn der Fahrzeugschlüssel im Kofferraumschloss zwei Stunden auf einem öffentlichen Parkplatz in Ungarn steckt;[230]
wenn der Zweitschlüssel sich in einem zuvor gestohlenen Pkw befindet;[231]
wenn Fahrzeugschlüssel und Fahrzeugschein durch einen Briefschlitz in der Glastür einen Kfz-Händlers eingeworfen werden.[232]
 

Rz. 186

Demgegenüber wird es in der Rechtsprechung nicht als grob fahrlässig angesehen, wenn der Zweitschlüssel unter dem Fahrzeug am Querträger angebracht wird[233] oder nicht sichtbar im Kofferraum hinter dem Reserverad[234] oder in der Verkleidung unter dem Radkasten.[235]

 

Rz. 187

Lässt der Versicherungsnehmer den Fahrzeugschlüssel versehentlich im Kofferraumschloss, weil er noch den Pkw seiner Begleiterin entlädt, liegt keine subjektiv vorwerfbare grobe Fahrlässigkeit vor.[236]

 

Rz. 188

Der Zweitschlüssel muss jedoch bewusst und nicht durch ei...

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